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jan st. werner - lesen lernen, fühlen lernen
interview

Wer sich mal ganz unverbindlich mit seiner eigenen Musik verabredet, kann ja bekanntlich die tollsten Erfahrungen machen. Jan St. Werner werkelt neben Mouse On Mars und Microstoria unter dem Pseudonym Lithops seit Jahren auch an Solomaterial herum, ziemlich ungezwungen, und wenn es sich ergibt, wird auch mal was veröffentlicht. Wie eben jetzt das mittlerweile dritte Lithops-Album "Scrypt" auf Sonig. Für Intro traf ich Jan St. Werner vor dem Kölner A-Musik-Laden, auf dem Gehsteig des Kleinen Griechenmarkt zum Interview.


Das letzte Lithops Album liegt inzwischen ja fünf Jahre zurück. Wieso die lange Pause?

Mir kommt es gar nicht wie eine Pause vor. Ist ja klar, ich mache ja noch ganz viele andere Sachen. Und Lithops ist glücklicherweise etwas, das ich nicht machen muss, und deshalb mach ich's nur, wenn es halt gerade ansteht. Das neue Album ist über einen relativ langen Zeitraum entstanden. Es ging 2001 los, im Grunde für ein Konzert bei "Cinema Texas", einem sehr ambitionierten Filmfestival. Und den Anspruch, den die an ihr Programm haben, wollte ich auch erwidern. Grad in dem extrem harten Texas ist das eine Bastion von Diskurs, von anders denken. Da musste ich einfach drauf reagieren und hab mit Jeffrey Bouck, einem aus dem Freejazz kommenden Schlagzeuger, eigens neue Sachen ausgearbeitet. Ich hatte vorher schon Skizzen, die ich gesammelt hatte über die Zeit, aber da ging's dann richtig los.
Danach hab ich immer wieder daran gearbeitet, z.T. in Budapest, eigentlich immer wenn ich woanders war, raus aus diesem Zusammenhang: mein Studio in Düsseldorf oder Microstoria und Mouse On Mars. Also immer, wenn das nicht existent war, kam Lithops halt daher und ich hab da dran weiter gearbeitet. Ich wollte nicht, dass das noch so eine Eröffnung von noch einem neuen Projekt wird, denn ich weiß nicht, wann es die nächste Platte gibt und ob ich überhaupt eine machen will. Ich sehe die Sache sehr für sich stehend und unabhängig, auch auf eine Art zeitlos. Klar, es ist sehr digitale, digital bearbeitete Musik, die sicher mehr aus dem Jetzt heraus relevant ist. Relevant will ich eigentlich gar nicht sagen, aber wenn, dann hat sie schon mit dem Jetzt zu tun, aber sie ist so gemacht, dass sie vielleicht auch noch ein paar Jahre braucht, bis die jemand für sich entdeckt. Also, wenn man die jetzt verpasst diesen Sommer, dann ist sie glaub' ich noch nicht unbedingt rum. So ist sie zumindest gedacht, so wünsche ich's mir.

Im Vergleich zum ersten Album "Uni Umit" klingt "Scrypt" - zumindest beim ersten Eindruck - weniger warm. Gerade der Einstieg ist natürlich ziemlich harsch. Aber auch insgesamt ist der Sound nicht so weich. War das beabsichtigt?

Ja, klar. Erstmal gibt's die "Uni Umit" ja schon als Platte. Die mag ich auch noch. Sie hat für mich auf ihre Art auch eine gewissen Zeitlosigkeit. Und die neue jetzt... Die hat schon auch ein Thema. Ich muss das jetzt dazu sagen, auch wenn es ein bisschen pathetisch oder komisch künstlerisch klingt. Aber "Scrypt" hat ja 2001 seinen Anfang genommen. Ich war eben in den USA, in San Antonio, Texas, als das WTC runterkam. Ich hab die Vorbereitungen für das Konzert praktisch bei laufendem Fernseher gemacht. Und das war natürlich alles da, das prägt die Platte. Auch, wie sie aussieht z.B. Das Zertrümmerte und das Entziffern, wieder was herauslesen wollen, aus etwas das kaputt ist. Aber es ist kein morbider Charme, der da entstehen soll, keine Leichenfledderei, sondern es ist ein Festhalten.
Es ging darum: Wie stark kann ich eine Kohärenz, eine Idee von Musik halten, wenn ich eigentlich alles in Frage gestellt habe, worin ich mich sehr sicher fühle? Wenn ich alles zerhämmere, all meine Sicherheiten, die ich auch so habe im Musik machen? Die Platte ist auf eine Art weniger verspielt, auch aggressiver im Umgang mit konventionellen Vorstellungen von Musik, mit so Standards wie Improv oder Metal z.B. Die Musik vorher war vielleicht ein bisschen privater oder selbstverständlicher, einfach auch so eine Arbeit mit Sound. "Scrypt" jetzt geht an Klischees anders heran und versucht, die zu durchdringen und dahinter Musik zu finden.
Es ist keine zerstörerisch gemeinte Platte, aber ich hab's mir so wenig leicht wie möglich gemacht, mich mit allen Handicaps konfrontiert, die ich selbst so habe: mit anderen Leuten arbeiten, mit Rhythmen, die ich nicht selbst gemacht habe, mit fremden Samples usw. Ich wollte es so haben, dass ich mich auseinandersetzen muss, mit allem was so von außen auf mich eindringt, wogegen ich mich behaupten muss. Ich sehe es als eine Herausforderung, sofort mit Fragen bereit zu sein, anstatt sich vor so einem Desaster zurückzunehmen. Das war was musikalisch wichtig war, deswegen klingt die Platte auch irgendwie härter oder zerberstender.

Spielt es für dich im Umgang mit Klängen noch irgendeine Rolle, ob ein Sound eingespielt, aufgenommen wurde oder digital prozessiert ist? Ich hab mir beim Anhören der Platte öfter gedacht: Ist das jetzt ein Instrument oder irgendein aufgenommenes Geräusch oder ist das ganz am Rechner entstanden? Nicht, dass das an sich eine Bedeutung hätte, aber ich frage mich, ob es für dich Unterschiede im Umgang gibt.

Diese Idee von Bedeutung würde am ehesten zusammenhängen mit etwas, das man mit dem Sound verbindet: eine persönliche Geschichte, irgendein Erlebnis, die Erinnerung an die Aufnahme und genau die Zeit im Studio etc. Ansonsten haben Sounds für mich absolut überhaupt gar keine Bedeutung. Die sind sie selbst, die haben ihre Bedeutung in sich. Ich kann für mich etwas in die rein interpretieren natürlich, was damit verbinden, aber die sind eigentlich sie selbst und sehr frei. Man scheint das dann irgendwo für sich im Schädel zu was zu machen. Da ist dann der Bereich, wo die Bedeutung entsteht, für die, die sie brauchen oder haben oder nicht mehr los werden - die haben sie dann halt. Aber manchmal fühle ich mich wirklich glücklich, wenn ich es schaffe, Musik auf eine so direkte Art zu empfinden, dass ich nichts damit verbinden muss, keine Bilder, keine Erinnerungen oder so, sondern vielleicht wirklich nur Gefühl aber eben kein angewandtes. Und das wäre auf jeden Fall etwas, worüber ich mich freuen würde, wenn das mit "Scrypt" passiert, wenn diese Bedeutung ausgehebelt wird.

Ist deine Arbeit für dich zu einem bestimmten Grad auch noch ein spielerisches Ding - im Sinn von Spieltrieb, von kreativem, spielerischem Umgang mit deinen Werkzeugen und auch im Sinn von Instrument spielen - oder schon eine von Beginn an sehr überlegte, zielende Sache?

Also, mit Spieltrieb kann ich nicht wirklich was anfangen. Ich bin z.B. kein Hobbytyp. Ich muss relativ viel Zeit investieren, ich nehme die Sachen ernst und verfolge sie solange ich kann. Es gibt sicher Phasen, in denen man vielleicht auch mal auf eine Art infantil ist oder debil fast schon und noch irgendwas aus sich raus hämmert...

Naja, Spieltrieb muss man ja jetzt nicht nur so negativ sehen.

Sportlich kann ich eher was damit anfangen, dass man sich selbst fordert, physisch oder psychisch an die Grenzen treibt...

Ich dachte mehr an die Herausforderung, die ein Gerät, das vor dir liegt, einfach schon in sich trägt. Da kreativ was herauszuholen.

Naja, die Sachen durchlaufen ja immer sehr viele verschiedene Stadien. Man hört sich's immer wieder an, beurteilt es, überlegt dauernd: Wo passt das hin, womit kann ich es kombinieren, wieviel Raum braucht es, was kann daraus entstehen? Es ist im Grunde immer Denken, es ist dauernd im Kopf halt. Wie soll ich sagen? Es ist nicht verkopft, es ist auch physisch, auch emotional, aber irgendwie eben schon auf eine Weise spezialisiert. Also ich kann im richtigen Sinne gar kein Instrument mehr spielen. Ich höre dauernd nur: Was mach ich jetzt damit, Anschlag zu hart oder so. Das lege ich alles gleich auseinander.
Das Verspielte würde bei der Musik nicht ausreichen, damit man so lange dranbleibt. Es ist schon sehr zielgerichtet. Man entscheidet sich: Ich bin dafür da, und das mache ich jetzt, solange ich kann. Ich weiß nicht, wie ich das nennen soll, es ist vielleicht schon so eine Gewissenhaftigkeit, die man da hat. Was aber für mich nicht heißt, dass nichts Freies passieren kann, nichts Zufälliges. Klar, gerade die Dinge, die du nicht vorhersehen kannst, die dich überraschen, die packen dich dann sofort im Nacken.
Ich fand es für "Scrypt" auch gut, einfach mal nichts zu machen, einfach mal zuzuhören, was andere machen und mich damit auseinanderzusetzen. Ich hab das Gefühl, ich komponiere auch da, ich bin auch da immer noch voll und ganz mit meiner Musik beschäftigt, denn ich hör meine Musik, ich muss sie nicht unbedingt machen. Mit meine Musik mein ich jetzt nicht die Trademark unverwechselbare "meine Musik", die mir gehört, sondern das, was ich überhaupt hören kann oder wie ich höre, was sich ja auch in der Musik ausdrückt, die ich dann mache. Aber so wie ich höre ist gar nicht so wichtig, dass ich eigentlich ständig selber die Finger an irgendwas hab. Ich kann vielleicht auch andere was machen lassen und hör das aber auf meine Weise. Kann dann Einfluss nehmen, ohne dass ich meine Finger dran hab.

Du hast als Lithops ab und zu auch Platten aufgelegt. Gibt's das immer noch, ist Lithops auch dein DJ-Name?

Ach, irgendwie habe ich gar keinen DJ-Namen. Und Lithops ist für mich eigentlich überhaupt kein Name. An Lithops hat mir gut gefallen, dass es überhaupt nichts ist irgendwie. Diesmal war's ein bisschen auch eine Band oder so ein komisches, ominöses Etwas. Auf den Platten vorher war's wirklich nur so ein Titel, damit man was zum Einordnen hat, unter "L" oder so. Für mich war das immer so was Körperloses, das fand ich ganz gut.

Lithops sind doch diese Wüstenpflanzen, die wie Steine aussehen, nur selten blühen und deshalb auch lebende Steine genannt werden. Meine wilde Spekulation zu dem Projektnamen wäre: Du versuchst Leben aus den im Prinzip toten Trümmern von Hard- und Software zu schaffen.

Am ehesten war der Name auf die Identität des Projekts bezogen. Aus nichts kommt etwas, das kann man dann für sich entdecken. Die Idee war immer, dass ich es ein bisschen verteile, dass es auch unerwartet kommt, dass man es nicht gut kalkulieren kann. Und ich habe damit schon auch eine Identität verbunden, die sich nicht so ganz klar greifen lässt, wo man nicht so genau weiß, was es ist, und das ich auch immer wieder zurückziehen kann, das vielleicht ein bisschen feiner ist, einfach nicht diese Wucht hat, die für mich Mouse On Mars und auch Microstoria haben. Ich dachte mir, dagegen hätte ich gern etwas, das man glatt übersehen könnte, wo ich gar nicht so ambitioniert sein will, oder zumindest nicht so rüberkommen will, das ich auch für mich selbst so halten will, dass ich nicht anfange, Ehrgeiz zu entwickeln. Da fand ich den Namen irgendwie gut. Es ist einfach so ein komisches Ding, man weiß echt nicht genau, was es ist.

Ein neues Mouse-On-Mars-Album steht ja auch bald an. Was kannst du da denn schon verraten?

Ja, das neue Album gibt's dann wohl im Frühjahr 2004 oder so. Wir sind kurz vor fertig. Es wird definitiv anders als das Lithops-Album. Es ging los, als ich "Scrypt" praktisch fertig hatte. Was kann ich dir sagen? Was mir so aufgefallen ist an Kommentaren von den Leuten, die es bisher gehört haben: sehr bejahend, anders, recht forsch, sehr an Musik dran. Nicht ganz so viele Tempowechsel vielleicht, ein bisschen kohärenter. Das wird eine relativ handfeste Platte, glaub ich.
 
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last updated: 2009.08.26, 10:29