ara 






sound selections  
specials
carl craig - music is music
interview

Anlässlich eines DJ-Gigs traf ich Carl Craig im Juli 2003 im Kölner Sensor Club zum Interview, befragte ihn zum DEMF aka Movement, zu seinen Zukunftsplänen und zu Amp Fiddler sowie zu seinem letzten Projekt, dem Album "The Detroit Experiment" (Ropeadope).


Auf der "Detroit Experiment"-CD gibt es diese Fotocollage, wo alle MusikerInnen zu sehen sind, die meisten mit ihren Instrumenten in der Hand, während sie spielen, und du sitzt als einziger einfach nur da und hörst ganz genau zu und denkst offensichtlich nach. Bitte versteh mich nicht falsch, aber reflektiert das deine Rolle innerhalb des Projektes?

Ja, doch, mehr als alles andere auf jeden Fall. Obwohl ich auf dem Album auch selbst gespielt habe, begann all meine Arbeit eigentlich erst nach den Studio-Sessions. Meine Aufgabe war mehr ein Gestalten und Formen: entscheiden, was wirklich funktioniert, Dinge ausbessern und verändern, dafür sorgen, dass die Grooves richtig sind usw. Das Konzept war, dass es mir möglich sein sollte, alles, was wir im Studio aufnahmen, später zu bearbeiten und zu verändern. Also brauchte ich das beste Material, das ich kriegen konnte. Und am Ende der Aufnahmen hatten wir jede Menge wirklich gutes Zeug, das ich dann gar nicht groß verändern musste. Ich musste nur noch eine Kleinigkeit dazugeben, und wir hatten es fertig, es war einfach gut. Aber ich hab tatsächlich immer sehr lange zugehört, um zu entscheiden, in welche Richtung ich es leiten sollte.

Mit den besten MusikerInnen zu arbeiten, war für dich ja ein Grund, überhaupt Produzent zu werden, richtig? Für das Detroit Experiment hast du nun eine ganze Gruppe exzellenter und bekannter MusikerInnen geleitet und dieses Ziel also spätestens damit erreicht. Was kann als nächstes kommen? Was sind deine Ziele für die Zukunft?

My aim is always to fuck everything up, you know. Ich versuche immer, etwas zu machen, das mich selbst überrascht. Es ist nicht etwa mein Plan, Jazzplatten zu machen. Ich liebe Jazz, und wenn sich die Gelegenheit ergibt, was zu machen, bin ich dabei. Es ist auch nicht mein Plan, Technoplatten zu machen. Egal was - wenn die Gelegenheit da ist und die Inspiration, dann mache ich es. Ich sehe solche Entscheidungen nicht als irgendwie künstlich oder gezwungen an. Ich lasse mich von meinem Gefühl leiten. Und auf diese Art will ich die Sache auch immer weiter machen. So war's z.B., als ich begonnen habe, bei Projekten wie dem Detroit Electronic Music Festival (DEMF, jetzt Movement) mitzumachen. Es war nichts künstliches. Wir hatten immer ein solches Festival in Detroit gewollt, und ich habe damals mitgemacht, weil ich fühlte, dass es der richtige Zeitpunkt war mitzumachen.

Du warst in den ersten beiden Jahren, 2000 und 2001, künstlerischer Leiter des DEMF. Dann gab es nach deinem Rauswurf auch hinsichtlich der Qualität eine Art Durchhänger. Dieses Jahr wurden Derrick May und Kevin Saunderson mit der Leitung betraut. Wie geht es dir inzwischen mit dem Festival?

Ich freue mich, dass es jetzt in den Händen von Derrick und Kevin ist. Zunächst gab's die Idee, dass ich auch wieder dabei sein sollte, aber das hat mich nicht besonders interessiert. Ich habe es schließlich schon zweimal gemacht. Es hat eine Menge Spaß gemacht, aber zugleich geht das natürlich auch mit vielen Problemen und Ärger einher. Z.B. hatte ich 2000 Jeff Mills eingeladen, und er sagte dann im letzten Moment, erst eine Woche vor dem Gig ab. Das war nicht besonders nett. Oder es gab Meinungsverschiedenheiten mit Mos Def, Meinungsverschiedenheiten mit vielen anderen Leuten. Aber es war auch eine sehr lehrreiche Erfahrung. Es war das erste Mal, dass ich so etwas gemacht habe, und als es dann so ein Erfolg war, war das natürlich großartig. So now i am fulfilled, you know, haha.

Glaubst du, das Festival verändert die Art und Weise, wie Techno generell in den USA angesehen und wahrgenommen wird?

Ich denke, im ersten Jahr hat es das geleistet. Inzwischen hat das Festival diese Wirkung irgendwie wieder verloren, weil es nicht fähig war, der ursprünglichen Idee dahinter gerecht zu werden. Ein Festival, das die richtige Idee hat und an das sich das DEMF ursprünglich auch anlehnte, ist das Sónar in Barcelona. Weil aber beim DEMF im ersten Jahr so viele Leute kamen, dachten alle, es könnte oder müsste gar nicht besser und anders sein, als es schon war. Einfach, weil es als das größte Festival galt und viele denken, das größte wäre auch das beste. Aber das heißt natürlich nicht, dass es das beste ist, sondern einfach, dass wir mehr Motherfuckers hatten, die hinkamen. Dann passierten 2001 all diese Dinge mit dem World Trade Center, der Crash an der Börse... All das wirkte sich auf die Wahrnehmung von Dingen aus. Die Leute wollten ihr Geld nicht mehr leichtfertig für extravagante Dinge ausgeben. Und ich denke, dass für viele Menschen elektronische Musik zu etwas Extravagantem wurde im Vergleich zu einem Eminem-Album oder zu einer Platte, von der du im Voraus genau weißt, wie sie klingt, oder zu etwas, von dem du weißt, dass es ein großes Ding wird. Ich glaube also, das DEMF hätte eine viel größere Wirkung auf nationaler Ebene entwickeln können, aber leider ist zu viel Bullshit passiert zwischen der WTC-Tragödie, den Problemen, die ich 2001 mit dem Festival hatte, und einem Haufen anderer Dinge. Auf einer größeren Ebene machte es einfach nicht mehr so viel Sinn.

Findest du, das DEMF / Movement hat eine positive, einigende Kraft für die lokale Szene und die Detroiter KünstlerInnen?

Ja, in diesem Sinn hat es eine positive Wirkung. Die Idee ist ja, dass es ganz unterschiedliche Musik beinhaltet und zusammenbringt, nicht nur elektronische. Es vereint House und Techno, Disco, Funk, R'n'B, HipHop - whatever it is as long as it's cutting edge music. So sollte es zumindest sein. Es wird eine Einheit dadurch, dass es dem Publikum auf jeden Fall etwas Besonderes, etwas außerhalb der Norm bietet. Die Leute können sich Amp Fiddlers oder Dweles Set ebenso anhören wie das Detroit Experiment oder Danny Krivit und François K. oder die 3 Chairs mit Kenny Dixon, Rick Wilhite und Theo Parrish.

Wenn du schon von Amp Fiddler sprichst: Mein Lieblingsstück auf dem Detroit-Experiment-Album ist "Highest", und das zweitliebste ist mir "Too High", Amp Fiddlers Interpretation des Stevie-Wonder-Songs. Ich finde wirklich umwerfend, was er macht.

Yeah, Amp ist großartig, nicht wahr? Ich kenne ihn schon eine ganze Weile. Er arbeitet viel mit Kenny Dixon zusammen. Er ist ein extremes Talent. Die Leute von seinem Label hatten meiner Meinung nach zuerst Schwierigkeiten zu verstehen, in welche Richtung er gehen will und wie sie damit umgehen sollten. Aber inzwischen haben sie eine klarere Vorstellung, vor allem wegen dem Zeug, das er mit Kenny gemacht hat, aber einfach auch, weil die Leute seine Musik lieben. Er macht real fucking music, nicht nur tracky Kram. Seine Sachen haben wirklich heart and soul. Für mich ist er der Sly Stone unserer Generation. Was er macht, ist fantastisch.

Du hast es mit einigen deiner Produktionen, vor allem mit "Throw" von Paperclip People, geschafft, das Feeling von Disco in Technosound zu übersetzen. Derzeit gibt es ja ein regelrechtes Disco-Revival. Ich denke da vor allem an den NYC-Sound mit Metro Area und einer ganzen Reihe von Epigonen, die sich direkt auf Disco berufen, aber mehr als alles andere den Sound von damals nachahmen, anstatt ihn mit anderen, neuen Mitteln ins Jetzt zu transportieren. Was hältst du von diesen Sachen? Verfolgst du das überhaupt?

Music is music, man, you know. Als ich "Throw" veröffentlicht habe, wurde das Stück als erste Filter-Platte gepriesen. Na toll. Es gab damals zwei Platten, die Filtering benutzten: meine und eine von Kenny Dope. "DBX" hieß sein Stück. Ich meine: Großartig, dann kann ich das irgendwann mal auf meinen Grabstein schreiben lassen. Für mich ist es so: Musik ist Musik, Revivals sind Revivals, Trends sind Trends. Das passiert einfach so. Ich warte wirklich auf die Zeit, wenn wieder konstant bessere Platten gemacht werden, und wenn die Leute dann auch die guten Platten hören, anstatt nur Trends nachzulaufen.

Ich frage mich, ob du noch viel Inspiration aus aktueller Musik ziehst...

Yeah!

...aus aktuellen Techno-Sachen z.B...

Nein.

...oder ob dich eher andere Genres wie eben Jazz inspirieren oder Musik aus anderen Epochen.

Nun, mir gefällt, was mir gefällt. Das muss nicht irgendein bestimmtes Genre sein. Commons letztes Album "Electric Circus" finde ich z.B. großartig. Oder "Beautiful" von Snoop Dogg und Beyonces neues Stück "Crazy In Love". Oder Basic Channel natürlich, ich liebe alles, was die machen. Es macht keinen Unterschied, ob es Jazz ist oder Rap oder Popmusik. Als Musikhörer und als Konsument bin ich einfach daran interessiert, gutes Zeug zu hören. Ich mag diese Geschichte von Brian Wilson, der tagelang nicht aus seinem Bett rauskam. Er war so deprimiert, weil er ein Beatles-Album gehört hatte. Ich hab vergessen, welches es war, aber er kam nicht mehr aus dem Bett raus, weil er einfach immer und immer wieder diese Platte anhören musste. Das ist die Art von Musik, die ich hören will. Musik, die sowas mit dir anstellt. It just fucks you up, it becomes part of your live.
 
comment
 



reviews
selections
specials
recent

contact




xml version of this page
powered by
antville.org | helma.org
last updated: 2009.08.26, 10:29