Ellen Allien & Hanin Elias. Nach Der Spassgesellschaft
Zwei Frauen, die den Status als Fixpunkte der Berliner Elektronikszene teilen, nicht aber unbedingt musikalische und inhaltliche Ausrichtung.
(2003.05.16, 19:27)
Eigentlich liegt es doch ganz nahe, zwei Künstlerinnen aus Berlin, die beide elektronische Musik machen, ein eigenes Label betreiben und jetzt auch noch fast zeitgleich neue Alben an den Start bringen und die keine Berührungsängste mit poppiger Catchiness haben, zu einem Gespräch zusammenzusetzen. Aber Hanin Elias, die in der Vergangenheit mit den radikal-politischen Technopunks von Atari Teenage Riot den Globus in Brand steckte und jetzt mit ihrem eigenen Imprint Fatal Recordings eingefahren-patriarchale Strukturen im Musik-Biz aufbrechen will, und Ellen Allien, die mit ihrem Label B/Pitchcontrol massiv den aktuellen Clubsound of Berlin mitprägt, bewegen sich in der Vorstellung der meisten in zwei weitläufigen Mikrokosmen, die nirgends aneinander stoßen. Umso interessanter, dachte ich mir, da mal in einem Erfahrungsabtausch zu sehen, ob es nicht vielleicht doch in Arbeitsweise, Haltung und Strategien Parallelen gibt bzw. wie man deutlich werdende Differenzen produktiv nutzen kann. Im imposanten Ambiente von Hanins feudaler Kreuzberger Wohnung, deren Dusche ungefähr so groß ist wie meine komplette Kölner Behausung, entwickelte sich ein angeregtes Gespräch zwischen den beiden Musikerinnen, in dem ich mich streckenweise gerne mal in den ZuschauerInnenrängen zurücklehnte - auch wenn ich nicht überall das zu hören bekamen, was ich gerne gehört hätte.
Verfolgt ihr eigentlich das, was die jeweils andere so macht?
Ellen: Bei mir war das ganz lustig, ich hatte lange nichts mehr von Hanin mitbekommen und dachte mir schon: Wo ist sie eigentlich? Und genau dann kam die Interviewanfrage. Ich kenne sie von Atari Teenage Riot, und sie fiel mir immer auf durch ihren Sex-Appeal, das Frech-Sein und natürlich als Sängerin.
Hanin: Ich hatte von Ellen immer ganz viel gehört, denn alle meine Freundinnen finden Ellens Musik total super und gehen ständig dahin, wo sie auflegt. Ich selbst hatte eine Zeit lang überhaupt nicht mehr das Bedürfnis, in Berlin auszugehen - ich hatte ja auch Babypause -, was sich aber auch wieder geändert hat. Jetzt habe ich wieder mehr Lust, mich zu öffnen, denn lange war ich doch ziemlich stark auf Vergangenes, besonders in der Musik, fixiert. Jetzt gibt's endlich wieder viele gute neue Sachen, die mich interessieren, nachdem da lange Zeit Flaute war.
Beide Platten klingen so, als hättet ihr Lust gehabt, neue Wege einzuschlagen, andere Einflüsse aufzunehmen und euch für Innovationen zu öffnen. Sie sind klanglich und strukturell sehr zugänglich und im tollsten Sinne poppig. War euch das ein bewusstes Anliegen?
E: Das Wort "neu" gefällt mir nicht. Entwicklung besitzt jeder Künstler, sonst wäre er kein Künstler. Als ich mein letztes Album fertiggestellt hatte, hatte ich das nächste schon im Kopf, das ist immer so ein Prozess. Ich fange an, das technisch umzusetzen, was in meinem Kopf ist - das ist ja praktisch das Spiegelbild meines Geistes. Meine Vocals sind immer sehr assoziativ und offen für Interpretationen, und meine Tracks streben gewissermaßen dem Licht entgegen, ins Helle, Luftige. Das, was mir in der letzten Zeit passiert ist, wird wiedergegeben, und wenn das dann veröffentlicht wird, bin ich schon wieder ganz woanders. Für Außenstehende wirkt das vielleicht neu, aber für mich ist es einfach der Weg, den ich zwischen den zwei Alben gegangen bin.
H: Bei mir ist es eher so, dass ich dieses Seelenleben thematisiere, diese ganzen einschneidenden Veränderungen und Umstürze in meinem Leben - dass ich von Digital Hardcore Recordings und Atari Teenage Riot weg bin, dass Carl Crack gestorben ist -, das ist jetzt für mich Vergangenheit und kommt nicht mehr zurück. Trotzdem passiert ja währenddessen ganz viel Schizophrenes und Paranoides, aber auch eine Menge Überschwängliches. Das ist so ein breites Spektrum an Gefühlsäußerungen, das konnte ich gar nicht mit einem einzigen Musikstil ausdrücken. Deswegen habe ich mit vielen ganz verschiedenen Musikern wie J Mascis, Khan und Merzbow Tracks gemacht, von denen ich jetzt sogar noch welche übrig habe. Eigentlich hatte ich zuerst geplant, ein Joke-Album mit dem Namen "Playing With Balls" aufzunehmen, für das ich mit lauter krassen Macho-Typen wie Ministry und Rammstein Songs machen und deren festgefahrenes Macker-Image durch meine Texte und meinen Gesang brechen wollte. Ich hatte denen das auch vorgeschlagen, aber teilweise haben sich die Jungs doch davor gedrückt ... Ich habe dann einfach Tracks gesammelt und 13 für das Album ausgewählt, das ich letztendlich doch nicht mehr "Playing With Balls" nennen konnte, da teilweise so süße, zarte und poppige Songs drauf sind, dass das echt nicht mehr gepasst hätte.
Spassgesellschaft Techno?
E: Ich habe früher ja im E-Werk aufgelegt, und da waren zu einer Zeit viele Glatzen, so richtig harte Typen, aber als die dann anfingen, Ecstasy zu fressen, wurden die auf einmal total lieb! Es gab keine Schlägereien mehr, alle wurden verweicheit, das war super.
H: Wir haben ja mit Atari auch das Stück "Raverbashing" gemacht, weil wir gedacht haben, auf E spüren die Fascho-Raver den Schmerz noch doller, wenn man dann da mit der Antifa-Truppe reinfährt.
E: Das war dann aber doch gar nicht mehr so schlimm, denn durch den Kontakt mit einer schwulen Kultur und auch durch das Zusammenkommen von Ost und West, das da im Techno stattgefunden hat, haben sich die rechten Tendenzen aufgelöst, das fand ich schön.
H: Das ist aber eine Illusion, denn damals wurde die Mauer zwar abgerissen, aber dann war eine neue Mauer da: die des Geldes.
E: Aber nicht bei Techno.
H: Doch, in den Clubs wurden doch Leute, die nicht gut genug angezogen waren oder nicht genügend Knete hatten, einfach nicht reingelassen. Da war schon eine deutliche Kommerzialisierung zu spüren.
E: Das stimmt schon, aber es gab so viele Clubs, dass sich das trotzdem mischen konnte, das war ja nicht überall so.
H: Genau, die ganze Spaßgesellschaft hat sich zusammengemischt, ob Nazi oder sonst was. Uns kam das schon alles total oberflächlich und beliebig vor - und wir waren ja selbst mit Atari anfangs auch in der Technoszene. Gerade nach Hoyerswerda haben wir uns gedacht, wir müssen jetzt ein Zeichen setzen, und haben uns bewusst nicht als Projekt, sondern als Band deklariert, die zu ihrer Musik und ihren Texten steht.
E: Trotzdem war das auch wichtig, dass das damals eine Spaßgesellschaft war und wir alle total durchgekreist sind, das sehe ich jetzt ganz deutlich, sonst wäre die Jugend nie zusammengekommen.
Professione: Zecke
H: Bist du nicht manchmal demotiviert, wenn du mitkriegst, was das eigentlich für eine riesen Prostitutionsanlage ist, dieses ganze Musikgeschäft?
E: Ich empfinde das nicht so, denn für mich ist das eine Kunstform, die vermarktet wird.
H: Aber wie viele Leute von so einem Künstler alleine zehren - das ist ja fast so, als würden die wie Zecken an einem sitzen und dir das Blut aussagen. Auch als kleines unabhängiges Label wird man von diesem Strudel mitgerissen und muss diese ganze Promo-Maschinerie mitmachen, sich um den Vertrieb kümmern, damit das Zeug überhaupt in die Läden kommt ...
E: Das ist halt Entertainment. Es gibt diesen Apparat des Musikbusiness', der superspannend ist, und als Indie kannst du dann wie dein eigener Major agieren. Ich habe auch keine Angst vor der Power der Majors, denn was wir da an internationalen Netzwerken und Wissen aufgebaut haben, können die unmöglich nachahmen.
H: Ich finde aber schon, dass man Angst davor haben muss, dass Majors auf einen Indietrend aufspringen, wie das ja regelmäßig passiert, und dann das Ding sinnentleert und mit polierter Oberfläche auf den Markt werfen. Ich habe auch immer gedacht, dass es doch möglich sein muss, gerade als Frau eine ganz andere Label-Struktur aufzubauen, die nicht männlich-hierarchisch gegliedert ist, sondern sich wie ein kleines Zahnrädchen in die Gegenrichtung dreht.
E: Männer sind für mich nicht größer, und die Sprache von denen habe ich schon lange drauf. Es gibt im Musikbusiness ganz viele Frauen, die im Hintergrund sitzen und da die Arbeit machen. Es ist egal, ob du ein Mann oder eine Frau bist, wichtig ist nur, dass du ein freundlicher Mensch bist. Dass es weniger weibliche Elektronik-Artists gibt, liegt meiner Meinung nach nicht an den Männern, sondern an den Frauen. Die sind zu schwach.
H: Ich glaube, Frauen haben viel weniger das Bedürfnis, mit irgendwelchen Artefakten nach außen zu treten und sich in den Geschichtsbüchern zu verewigen, weil die eine ganz andere Genussfähigkeit haben. Männer sind genetisch so programmiert, sich durch kulturelle Leistungen zu verewigen, während Frauen viel stärker im Moment leben und weniger ehrgeizig sind. Ratet mal, warum ich eine Platte mit lauter Männern aufgenommen habe? Die Frauen, mit denen ich zusammenarbeiten wollte, haben alle gesagt: Jaja, wollen wir nicht lieber gemütlich einen Kaffee trinken gehen?
Benita (B/Pitchcontrol-Promoterin): Ich denke, viele Frauen haben auch eine durch die Sozialisation bedingte Scheu vor Technologie. [Zustimmung von allen Seiten]
Standort Berlin
H: Ich habe beim Mastern bewusst einen "Berlin-Sound" vermieden, weil ich meine Musik schon als international begreife. Die Wurzeln von elektronischer Musik, dieses Raue, was zwischen den Sounds ist, finde ich das Wichtigste. Den klaren digitalen Sound finde ich für mich nicht so reizvoll, weil ich glaube, dass sich die Fantasie immer in den Zwischenräumen befindet. Berlin als Stadt ist sehr wichtig für mich, weil mich das in den 80ern und 90ern ganz stark beeinflusst hat. Ich war ja ein richtiges Mauerkind, habe an der Mauer und dem Todesstreifen gespielt, und als sich dann das Tor zum Osten rüber geöffnet hat, ist da eine ganz neue Welt aufgegangen, die mir mit ihrer grauen Beleuchtung und der Verfallenheit vorkam wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Morbidität, die ich sehr liebe, beeinflusst einen als Musikerin extrem.
E: Bei mir ist es in erster Linie die Seele, die von Berlin beeinflusst ist, also all das, was ich erlebt habe. Bei uns ist natürlich schon klar: Wir machen die Musik, die in den Berliner Clubs läuft...
H: Ihr habt Berlin ja auch mitgeprägt.
E: Genau. Wenn du mal im tip beim Clubprogramm guckst, sind da jeden Abend drei oder vier B/Pitchcontrol-DJs dabei. Es macht auch mehr Spaß, mit den Leuten zu arbeiten, wenn die in Berlin sind und mal eben vorbeikommen können. Diese Stadt ist ein guter Ort, um künstlerisch zu arbeiten, weil man so viele interessante Leute treffen kann. Der Austausch ist so rege, es kommen ständig neue Leute her - das ist das Tolle an Berlin. |
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