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Sleater-Kinney
 
Für ihr siebtes Album haben sich Sleater-Kinney offensichtlich gedacht: Rip it up and start again. Auf "The Woods" ist alles neu, größer, lauter - und beängstigend gut.
(2005.10.12, 19:22)

Sleater-Kinney wollen ihre Fans ärgern. "The Woods", ihr siebtes Album, tut weh. Über ein Jahr lang haben Corin Tucker, Carrie Brownstein und Janet Weiss nach einem Weg gesucht, noch mal ganz neu zu werden und die vorgefertigten Bilder vom (Ex-)Riot-Grrrl-Trio, die sich nach der zehnjährigen Bandgeschichte in allen Köpfen schon gemütlich aufs Altenteil zurückziehen wollten, zu feinstem Staub zu pulverisieren. Man hört der Platte an, dass das ein verdammt unheimlicher, dunkler, suchender Weg war. Aber Sleater-Kinney sind während dieses Prozesses auf fast gigantomanische Weise über sich hinausgewachsen. Und ob man diese Veränderung euphorisch begrüßt oder beleidigt drauf rumkaut, muss man in jedem Fall mit hängendem Unterkiefer zugeben: Das Ergebnis ist, wie man auf englisch so schön sagt, mind blowing.

Schon der Opener "The Fox", der mit einem kreischenden Feedback anfängt, dann mit verzerrten, immer heftiger werdenden, bombastischen Gitarrenwänden und messerscharfen Trommelwirbeln zu Corins un- bis übermenschlichen Schreien nach vorne donnert, macht wie eine explodierende Bombe klar: Nichts wird mehr wie vorher sein. Unheimlich, aber wow. Eddie Vedder, der die Band als Support Act mit auf die letzte Pearl-Jam-Tour nahm und sie mit einem dämlich paternalistischen, aber sehr begeisterten Gestus für die Titelgeschichte der April/Mai-Ausgabe der Zeitschrift Magnet interviewte, beschwert sich zu Anfang des Gesprächs voller Euphorie, dass das neue Sleater-Kinney-Album seine Autoboxen weggeblasen hätte. Der Musikkritiker der New Yorker Village Voice, Keith Harris, stellt nach einem Konzertbesuch fest: "I can't imagine any woman having left Sleater-Kinney's March 3 show at the Mercury Lounge without wanting to form a band, and I can't imagine any man having left without wanting to be a woman", während Jenny Tatone vom Venus Magazine sie in ihrer Cover Story als "one of the only successful all-female rock bands in existence zelebriert.

Es ist nicht zu übersehen: Hier wird nicht an Superlativen gespart, und die massive, meist enthusiastische Presserezeption nicht nur in Nordamerika zeigt, dass man sich die Band jetzt wohl mit ein paar mehr Fans teilen darf als mit den gleichgesinnten Mädchen, die die drei immer noch an der Straßenkreuzung Sleater und Kinney im feministischen Unistädtchen Olympia stehen sehen und verliebt aufseufzen, wenn in Alex Sichels Film "All Over Me" die kurz vor ihrem Coming-Out stehende Protagonistin "I Wanna Be Yr Joey Ramone" hört.

Alles ist größer geworden, ausufernder, grenzenloser - der mitunter an Jimi Hendrix erinnernde, von allen Fesseln befreite Progrock-Gitarrensound, die Fanbasis, der Pressehype, das Label. Der Wechsel von Kill Rock Stars zum Indie-Giganten Sub Pop scheint reibungslos und ohne harte Gefühle vonstatten gegangen zu sein - im Booklet wird KRS gedankt und im Interview erklärt Corin, Sub Pop habe einfach die bessere Infrastruktur.

Für die Produktion der Platte wurde Mercury Rev und Flaming Lips-Producer Dave Fridmann angeheuert, mit dem sich die Band für zweieinhalb Wochen in seinem Studio im extrem abgelegenen, ländlichen Cassadaga im Staat New York verbarrikadierte - eine plausible Interpretation des Titels, den die Band so offen und vieldeutig wie möglich lassen möchte. Wie schon an allen Ecken und Ende zu lesen war, war Fridmann mitnichten ein Fan des Sleater-Kinney-Sounds und empfahl sich genau deswegen für den Job, alles neu zu machen. Er wollte die große Emotionalität der Band, die live immer so gut rüberkomme, rausschälen - bei ihren Auftritten mit Pearl Jam in den riesigen Rockarenen hatten sie bereits damit begonnen, viel zu improvisieren und zu experimentieren - und dafür stellte er so merkwürdige Forderungen wie jene, Drummerin Janet Weiss solle wie Keith Moon spielen, dessen Schlagzeug langsam von einer Decke verhüllt wird.

Mitunter klingt Carrie Brownstein, die kecke Tomboy-Ikone der Band, wie ein wichsender Gitarrengott - wie auch nicht bei den vielen Gitarrensoli und dem 11-Minutenstück "Let’s Call It Love" - und es ist sicherlich kein Zufall, dass Corin im Interview immer wieder von ihrem "Musicianship" spricht und die beeindruckende Weiterentwicklung ihrer technischen Fertigkeiten herausstellt. Und es machen sich auch schon Vermutungen breit, dass das kunstfertige, bombastische Gegniedel besonders beim männlichen Teil der Bevölkerung gut ankommt und dass die Adelung der Band und die Hievung in den Rockolymp deswegen so begeistert passiere, weil sie sich jetzt klassischerweise männlich konnotierten Qualitätskriterien beugen würden. Dass diese Form von Sexismus bei der Band nicht gut ankommt, ist klar: "Ja, wir sind jetzt alles Männer", meint Janet Weiss dazu nur sarkastisch.

Aber auch dem ganzen Rattenschwanz an rückwärts verliebten Bands, die in ihrem Epigonentum so ermüdend sind, geben die Ladies in der ersten Single "Entertain" einen mit: "You come around looking 1984 / You’re such a bore / Nostalgia, you’re using it like a whore / It’s better than before / You come around sounding 1972 / You did nothing new with 1972".

Auch wenn die Texte nur an wenigen Stellen so "outspoken" sind, ist klar, dass Sleater-Kinney nach wie vor eine diskursive Band sind: "Das Coole an einer Band ist, dass man die ganze Zeit miteinander diskutiert - wir reden ständig über Feminismus oder darüber, wie wir gewisse Dinge sehen. Ich finde es lustig, dass alle denken, MusikerInnen sind so smart - dauernd werde ich zu meiner Meinung über irgendwas gefragt. Aber klar, als Teenager war mir Musik extrem wichtig und ich habe KünstlerInnen immer als diejenigen gesehen, die was wagen, die eine Form von sozialer Kritik üben - das war ja schon seit den 60ern, seit dem Vietnam Krieg so. Das ist eine der tollen Sachen an Amerika, dass soziale Bewegungen immer mit Musik verknüpft waren. Heute ist alles viel kommerzieller und es gibt in den USA diese abscheuliche Corporate Rock Culture, in der es nur um Geld geht. Damit wollen wir nichts zu tun haben. Ich glaube aber, dass es auch jetzt eine Menge AktivistInnen gibt, die tolle Sachen aufgezogen haben, die aber keine Presse kriegen. Wir als Band haben ja immer sehr viel Presse bekommen, auch eine Band wie Le Tigre, einfach weil wir Labels und PR hinter uns haben, aber das erste Ladyfest in Olympia z.B. wurde ja de facto von Alison Wolfe von Bratmobile organisiert. Es gibt viele, die hinter den Kulissen arbeiten und z.B. so tolle Dinge wie das Rock’n’Roll Camp for Girls organisieren, aber sie kriegen leider viel weniger Aufmerksamkeit." | intro juli 05


Sleater-Kinney im Wortlaut: Hier gibt's das Interview, das Ute Hölzl and Susi Ondrusova mit der Band geführt haben, zum Nachlesen.
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