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I don’t do dirty work, sucka
 
Auf ihrem ersten Soloalbum zerhäckselt Angie Reed das weiblichste aller Arbeitsklischees: die Sekretärin.
(2003.06.10, 14:54)

Angie Reed, die in Berlin lebende Italo-Amerikanerin, schnappt sich auf ihrem ersten Soloalbum das weiblichste aller Arbeitsklischees - die Sekretärin -, fährt mit der Zickzack-Schere durch, verknüllt den klassischen Stoff und wurstet ihn mit scheppen Nähten und verkürzten Säumen wieder zu einer reichlich verkommenen Bürouniform zusammen. Auf "The Best Of Barbara Brockhaus" präsentiert die Musikerin das Beste aus ihrer multimedialen Sekretärinnenshow, die sich als umtriebiges Gesamtkunstwerk von der Bühne in das aufwändig gestaltete Booklet genauso wie in die 14 Tracks und zwei Videos auf der CD ergießt.

Vor ca. acht Jahren verschlug es Angie, der Liebe wegen, vom beschaulichen Norditalien ins brausige Berlin, was zwar ums gute Essen und Wetter schade war, szenemäßig aber einen großen Sprung brachte, denn die ItalienerInnen seien in diesem letzten Punkt ja leider doch eher "indietro" (backwards), einigen sich Künstlerin und Autorin mal eben unter dem Ladentisch. Nach Beteiligung bzw. Gastauftritten bei Stereo Total, den Goldenen Zitronen und eigenen Projekten wie Angie Et Ses Tigres, Cherrybomb und eben ihrem Office-Alter-Ego Brockhaus verdankt sich das erste Solowerk mit dem angesammelten Barbara-Material eher dem Zufall als minutiöser Planung. Dass die Platte auf Chicks On Speed Records erscheint, ist "vom Himmel gefallen - besser hätte es gar nicht kommen können". Was soll man da noch sagen: Sitzt und passt - wie angegossen.

Produziert haben Patric Catani von EC80R und ein wenig auch David Skiba (alias Bomb 20), der sich sonst hinter den Puppetmastaz versteckt. Der Sound ist roh, dreckig, sexy, eklektisch und natürlich immer vor allem eins: ironisch, denn darum geht es hier ja - die Verhackstückelung und Verdrehung des nominell gewöhnlichsten Berufsmodells für Frauen überhaupt. Barbara Brockhaus, deren Name auf geniale Weise gleichzeitig ultrabieder, angestaubt und doch unglaublich smart klingt, singt über Psychic Dicks, unverschämte Chefs, verlorene Geldbörsen, ihre Vorliebe für das Schöne, Große, Harte und über die Trauer, nie ein Pony besessen zu haben. Dabei rumpeln die Tracks mit Groovebox, Garagengitarren und Banjo minimalistisch und abgefuckt groovend über weird-kindische Sounds, fallen auf umwerfende Weise immer fast auseinander und werden dann doch von Angie-Barbaras schmollenden, teasenden und fordernden Rap-Gesangseinlagen zusammengehalten. Im ersten Moment ist man schnell versucht, starke Einflüsse von kanadischen Pranksters wie Peaches, mit der Angie gerne und produktiv in Berlin abhängt, und Chilly Gonzales, der auf der Nummer "Jungle Jigolo" rappt, rauszuhören, was letzten Endes aber eher gleiche Vorlieben in Ästhetik und Attitüde statt im musikalischen Sektor markiert: Hier rult der "schlüpfrige", tendenziell größenwahnsinnige und immer sehr humoristische Umgang mit der eigenen Körperlichkeit.

Genau wie Kollegin Peaches entwirft Angie Reed ein potentes Modell weiblicher Horniness, das hier noch durch die Verdrehung des subalternen Sekretärinnenbildes überhöht wird. Die gelangweilte Tippse, die ihrem Job durch perfides Unterengagement subversive Feindseligkeit entgegenbringt, wirft ihre Tippfehler-verseuchten Files in den Mülleimer, während sie ihren Büroalltag durch spicy Tagträume über fantasy males wie Lars Langenscheidt et al. aufpeppt. Damit wird einerseits das Stereotyp von der vom Alltag geknechteten Büromaus bedient, um in der Klischee-Diktion zu bleiben, unter deren amtlicher, Chef-devoter Fassade es brodelt - man denke an den beliebten Filmgag, der unscheinbaren Bürohilfe die Brille vom Gesicht zu nehmen und sie allein durch diese minimale Transformation bzw. symbolische Entkleidung in ein sexuell begehrenswertes Glamour-Girl zu verwandeln. Andererseits wird die Leere ritualisierter Büroabläufe und die Sackgassen-Position, die Frauen darin zumeist zugewiesen wird, schnippisch durch Aussagen wie "The only file that makes this not so hard workin’ gal [girl] smile is her nail file" unterlaufen. Eine in diesem Kontext gänzlich unerwartete aggressiv-sleazy Variante von weiblicher Sexualität wird nach außen gekehrt, die das Machtgefälle umdreht und Lines wie "But I don’t do dirty work for you ... Suck my finger" rausbläst.

Während Le Tigre, mit denen Angie mittlerweile auch schon mal gerne in eine Reihe gestellt wird, im Video zu "Well Well Well" das Bild von der Sekretärin, die heimlich in einer im Playgirl-Magazin versteckten Theorieschrift liest, subversiv benutzen und aus dem Schlagschatten des Stereotyps heraus eindeutig politisch agieren, erschließen sich Angie Reeds Politics über das Prinzip Pleasure. "Es gibt schon auch Statements, z.B. zur Wahl, aber die sind subtil statt vordergründig ausgedrückt. Wenn das mein Hauptanliegen gewesen wäre, hätte ich mir den Humor gespart", so la Reed. Als Effekt bleiben natürlich die ironische Aufarbeitung eines gängigen weiblichen Rollenmodells sowie die expliziten, kraftvollen sexual politics, die auf textlicher wie auch visueller Ebene die gesamte Tracklist wie auch das Artwork dominieren. Das gipfelt im Cover, auf dem Angie Reed als grellroter Farbklecks im sexy Office-Look in einer grauen Bürohausschlucht steht und vor sich zwei ebenso graue Anzugchefs knien hat, die an ihren ausgestreckten Fingern nuckeln, während sie triumphierend lustvoll den Mund zu einem aggressiven Schrei öffnet.

Die Frage, die man sich trotz der Freude über das Aufbrechen von heterosexistischen Annahmen wie der sexuellen Zurückhaltung der Frau stellen muss, ist natürlich immer noch die, ob diese Befreiungsstrategie nicht doch nur eine Option für Künstlerinnen ist, die, wie Angie Reed, im klassischen Sinne als begehrenswert wahrgenommen werden. Aber vermutlich darf man nicht alles auf einmal wollen. Und hey: Das Video zu "Set It Off" von Freundin Peaches mit wild wuchernder Körperbehaarung macht da schon einiges möglich.

Angie Reed presents "The Best of Barbara Brockhaus with Music for the Lazy and not the Bureaucrazy!" ist bei Chicks On Speed Records erschienen. | intro mai 03
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