plastikmädchen
texte zu feminismus und popkultur
 
musik

buch

comic

film/tv

mädchen

alltag

wer

was


home


xml version of this page
Gossip
 
Queere Indie-Musik ist auf dem Vormarsch. Warum manche Homo-Bands von diesem Trend mehr als andere profitieren können, darüber mutmaßt das aktivistische US-Trio Gossip im Interview.
(2006.02.22, 13:53)

Homo, Sweet Homo

Queere Musik ist in der weißen Mittelschicht angekommen. Abseits von "hedonistischen" Genres wie House und Disco, unter deren glitzernder Decke man schon seit Jahrzehnten den sexuell "anderen" Dance Floor vermutete und Potenzial für hauptsächlich schwule, nicht-weiße Widerständigkeit ausmachte, hat sich jetzt eine vage dem Alternative-Charakter verhaftete Gay-Szene beachtliche Aufmerksamkeit erspielt. Nachdem schwule oder lesbische Punkbands wie Pansy Division oder Team Dresch inmitten des durch Mackerposen geprägten Punk-Kosmos' jahrelang die gern zitierte Ausnahme waren, begeistern sich auf einmal ganze Heerscharen studentischer MusikkonsumentInnen für queere, schwelgerische Acts wie die Hidden Cameras, Rufus Wainwright, Xiu Xiu oder Antony and the Johnsons. Auch neofolkige KünstlerInnen wie CocoRosie und Devendra Banhart werden aufgrund ihrer überdrehten Campiness diesem Lager zugeschlagen, ohne selbst meist irgendetwas mit dem Label "queer" anfangen zu können. Nicht wenige junge Fans schunkeln freudig zum beinah sakralen Homo-Entertainment, um sich wenige Jahre später widerspruchslos in einer Hetero-Kirche das Ja-Wort zu geben, prophezeite unlängst ein ätzender Kritiker.

Und wann immer die Kasse ordentlich klingelt, wacht auch die Industrie auf, denn der Markt kennt bekanntlich nur eine Orientierung, und die heißt weder schwul, trans oder bi, sondern Profit. So plant der Major Sony BMG in Kooperation mit Wilderness Media & Entertainment, das auch hinter MTVs erfolgreichem schwul-lesbischem TV-Kanal Logo steckt, bereits ein Plattenlabel namens "Music With A Twist" für "Gay-Klassiker und -Newcomer". Der Konzern AOL zog sofort nach und hat unter dem Label "G Sides" Ende Januar ein Portal für die "GLBT-Community" gelauncht, auf dessen Websites "the gay and lesbian artists we love" gefeaturt werden sollen. Im September 2005 schnappte Antony and the Johnsons den begehrten britischen Mercury Prize, den in den Jahren zuvor schon Pulp, Badly Drawn Boy und Franz Ferdinand abgeräumt hatten, den Superstars Coldplay vor der Nase weg.

"Dass ein schwuler Künstler, der lieber eine Frau sein will und auch so singt, diesen Preis bekommt, ist wirklich unglaublich. Aber für einen weiblichen Drag King wäre das nicht möglich gewesen. Es sind die weißen Männer, die in diesem Bereich erfolgreich sind. Alle sagen: Oh mein Gott, Antony singt wie Nina Simone! Aber hat Nina Simone jemals einen solchen Award gewonnen? Nein. Weil sie eine schwarze Frau war." Beth Ditto, Sängerin der queeren Blooz-Punk-Band Gossip, macht ihrem Unmut Luft. Obwohl sie weiß, dass ihre Kritik die Erfolge von partiell lesbischen Bands wie Le Tigre und Sleater-Kinney unter den Tisch fallen lässt, beißt sie damit doch auf einen bloß liegenden Nerv. Denn wie bekannt sind schon Projekte wie Lesbians on Ecstasy, Tracy and the Plastics, Gravy Train!!!!, Scream Club, Viva la Diva (mit Electrelane-Beteiligung) oder auch die Berlinerinnen Rhythm King and her Friends, die alle mit theorielastig-ernster bis ironisch-oversexeder Herangehensweise ihre "deviante" Identität thematisieren? Während ihnen dafür die Wahl elektronischer Produktionsmittel zwischen Stampf-Techno, HipHop, Booty-Bass, Disco-House und Kinderspielzeug-Elektronik den gewünschten musikalischen Spielraum lässt, arbeiten sich Bands wie z.B. die no-wavigen Erase Errata, die Indie-Synth-Popperinnen Boyskout und die kanadischen Gaststars aus der Hochglanz-Lesben-Serie "The L-Word", The Organ, weitestgehend an Gitarren ab - obwohl das Medienspotlight in letzter Zeit ganz unbarmherzig wieder nur die "lads with guitars" liebkost.

So auch das rockende US-Trio Gossip, das sein drittes Album "Standing in the Way of Control" nicht nur wie von Anfang an auf der Riot-Grrrl-Brutstätte Kill Rock Stars, sondern erstmals auch auf dem Hamburger Label Lado veröffentlicht. Mit ihrer langsam bis zur Explosion anschwellenden, röhrenden Mixtur aus (Post-)Punk, Blues, New Wave und Soul und einer minimalistischen Besetzung mit Schlagzeug, Gitarre, Gesang ließe sich die Zwei-Frau-ein-Mann-Formation leicht in die momentan so hippe Tanz-Rock-Welle eingliedern. Wenn es da nicht vehemente inhaltliche Differenzen gäbe. Beth Ditto: "Nimm das derzeit erfolgreiche Band-Modell à la Franz Ferdinand: vier bis fünf dünne Typen, heterosexuell, weiß. Was könnte die jemals so sehr anpissen, dass sie einen großartigen, Angst-getriebenen Song schreiben? Nichts. Niemand hat die morgens an der Bushaltestelle komisch angeguckt. Wenn dagegen eine Band wie Team Dresch oder wir ein Liebeslied schreiben, dann ist das radikal, weil es queer ist."

Gitarrist Nathan alias Brace Paine fügt an: "In Amerika dreht sich alles ums Image. Man muss Bands an die Öffentlichkeit verkaufen können, und natürlich ist es ein Leichtes, vier straighte Styler, die diesen sexy Dance-Rock machen, zu vermarkten. Aber gerade deswegen bin ich so viel lieber in einer Band mit zwei radikalen Frauen, die revolutionäre Dinge tun, als mit vier straighten Typen, die nur Songs darüber schreiben können, wie traurig sie sind, dass ihre Freundin mit ihnen Schluss gemacht hat." Immer wieder betonen die drei MusikerInnen, dass sie nicht trotz, sondern mit ihrer Queerness als Band reüssieren wollen. Dabei gäbe es beileibe schon genug Attribute, die die Band im Popzirkus, wie alternativ auch immer er sich gerieren möge, an die Ränder schubsen könnte.

Ursprünglich stammt die Gruppe aus Searcy, Arkansas, einem bigotten Kuhdorf im verarmten amerikanischen Süden, in dem MTV nur ein Jahr lang ausgestrahlt und dann wieder - als zu satanisch - verboten wurde. "In Searcy gab es ein Wafflehouse und einen Walmart. Das war alles. Die 'Queer Community' bestand aus meinem Freund Jerry und mir. In einer einzigen großen Buchhandelskette konnte man unter dem Ladentisch Homo-Magazine kaufen. Als der Rest der Stadt das rausfand, wurde das Geschäft geschlossen", erinnert sich Beth schaudernd, die damals im Kirchenchor sang und immerhin ihre Liebe zu Aretha Franklin entdeckte. Nathan war es, der Punk und Riot Grrrl nach Searcy brachte und als erster Konzerte in dem 10.000-Einwohner-Kaff organisierte. "Ich hatte einen Cousin, der eine Woche lang Punk war. Der nahm mir ein Mixtape auf, von dem ich richtig besessen war. Davon ausgehend entdeckte ich andere Bands. In unserer Redneck-Gemeinde war ich damit ein totaler Paria und wurde ständig angepöbelt. Ich musste mehrmals um mein Leben rennen!" Gemeinsam mit der damaligen Drummerin Kathy, die mittlerweile durch die Seattlerin Hannah Blilie ersetzt wurde, floh man in den Riot-Grrrl-Himmel Olympia an der Westküste und residiert mittlerweile in Portland und Seattle.

Aber was an Gossip wohl am meisten ins Auge springt, ist die Band-Optik, die neben dem nachlässigen Queerpunk-Style von Nathan und Hannahs tätowiertem Tomboy-Look ganz radikal von Beths Physis beherrscht wird. Denn Beth Ditto ist, was nicht sein darf: nicht nur eine lesbische Indie-Femme, sondern auch noch klein, dick und very physical. Also alles, wovor sich Frat Boys wie die Bloodhound Gang und ihre White-Malestream-Fans ekeln und eigentlich doch nur fürchten. Allerdings ist sie dabei auch so offensiv und einnehmend sexy, dass es bei Gossip-Konzerten, bei denen Beth gerne mal bis auf die Unterwäsche strippt, viele aufgeklappte Münder und kugelrunde Augen zu sehen gibt. Legendenstatus hat bereits die Episode erreicht, bei der Beth während des Entkleidens in die johlende Menge eines aufgepeitschten Londoner Publikums fragte, ob jemand von der Zeitschrift NME da sei. Als einige Hände in die Höhe schnellten, rief sie: "Ich habe gelesen, was ihr über Missy Elliott geschrieben habt" - nämlich dass sie ein paar Pfunde verlieren solle - "und ich wollte euch nur sagen: Fickt euch!"

"Es verweist auf einen ziemlich erbärmlichen Bewusstseinszustand der Gesellschaft, dass viele Leute es nicht fassen können, dass ich dick und gleichzeitig sexy bin. Andererseits bin ich natürlich auch stolz darauf, so wahrgenommen zu werden, weil ich immer noch jeden verdammten Tag mit meinem Selbstbild ringe. Wenn es in meiner Jugend eine fette Kathleen Hanna gegeben hätte, wäre ich wahrscheinlich ein glücklicherer Teenager gewesen", resümiert die Sängerin. Diese Attitude wird Gossip vermutlich keinen neuen Franz-Ferdinand, Maximo-Park oder Bloc-Party-Status einfahren. Aber bestimmt das Leben vieler dicker, queerer, anpassungsunwilliger Misfits glücklicher machen. | Jungle World jan 06
kontakt