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Philadelphia Child?s Word Rifle
 
Da spricht eine Frau aus Philadelphia ganz ruhig ihre Gedichte über milde Beats, und alle wollen es hören. Kein Wunder, denn diese Frau ist Ursula Rucker und ihr Wort ihre Waffe.
(2002.07.27, 16:44)

Eigentlich ziemlich überraschend, dass da eine junge schwarze Frau aus Philadelphia einfach ihre Gedichte über sanft-zurückhaltende Musik spricht, und alle es hören wollen. Dabei passt Ursula Rucker in keine der für Afro-AmerikanerInnen stets bereitgehaltenen Klischee-Schablonen: Sie versucht weder, in harten Rhymes die toughe Ghetto Queen zu mimen oder stattdessen R'n'B-Balladen über never ending love zu schmettern, noch präsentiert sie einen prallen Superbody in gewagten Outfits. Ganz im Gegenteil: mit ruhiger, kristallklarer Stimme reimt Ursula über Themen, die sich normalerweise nie ins gängige Popsong-Format verirren, weil sie zu anstrengend und unangenehm sind.

Ursula jedoch, die ihre Kunst bewusst dafür einsetzen will, gesellschaftliche Veränderung zu erreichen (nicht zuletzt auch für die Zukunft ihrer zwei Söhne, wie sie immer wieder betont) spricht in ihren Texten über all das, was im gängigen Popsong-Diskurs so gerne ausgeblendet wird: die Diskriminierung und gleichzeitig die Stärke schwarzer Frauen als Mütter und Erzieherinnen der black communities, über die verheerenden Auswirkungen der Sklaverei, die bis heute schwarze Familien auseinandertreibt, über Drogenmissbrauch und -kriminalität, über den state of black music today und die Großmäuler, die mit Hustler-Posen den schnellen Dollar machen wollen und dabei doch nur von der Industrie abgezockt werden, und nicht zuletzt auch über Beziehungen und die Schwierigkeit, die Liebe in diesem crazy life am Laufen zu halten.

Die Dichterin, die von ihrer äußeren Erscheinung her angenehm unglamourös und unprätentiös wirkt, ist in Philadelphia aufgewachsen und hat ein Journalismus-Studium an der Temple University absolviert. 1994 hatte sie ihr Debüt als spoken word artist bei einem Open Mic-Abend im Zanzibar Blue in Philadelphia und wurde kurz darauf von King Britt dazu animiert, ihr erstes Spoken Word Recording zu machen - "Supernatural", das bald zum Clubklassiker werden sollte. Daraufhin folgten Kooperationen mit den Roots, 4 Hero, Jamaaladeen Tacuma, Robert Yancey III und vielen anderen. Ihr aktuelles Album "Supa Sista" hat sie beim schicken Berliner Label K7! veröffentlicht (die mit den DJ-Kicks), was einige KritikerInnen besorgt hat äußern lassen, ob wohl bald aalglatte geld-orientierte Werbemenschen ihren Feierabend-Martini zu Ursulas Lyrics über Kindesmissbrauch schlürfen werden.

Denn für alle Dickfelligen bietet sich das rein musikalisch durchaus an: die Untermalung von Ruckers Texten kommt so nu-jazzig groovig und unaufdringlich daher, dass sie durchaus dem Ohr schmeichelt. Und auch die Stimme der Künstlerin wirkt angenehm beruhigend - so lange man sein Denkzentrum taub stellt. Denn sobald man die Bedeutungen entschlüsselt, schneidet Ursulas Stimme durch träge Gleichgültigkeit wie Glas. Mit einfachsten stimmlichen Mitteln erreicht sie dabei maximalen Effekt: ein leichtes Anheben des Volumens oder eine Wiederholung, und schon fährt es einem eiskalt den Rücken hinunter. Ich wage gar nicht zu denken, was diese Frau live auslösen kann. Eine soziale Revolution vielleicht? Schön wär?s ja.

"Supa Sista" von Ursula Rucker ist auf K7! erschienen. | fm4.orf.at okt 01
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