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Niobe
 
Zwischen Oper, Jazz und Experiment jongliert Niobe auf ihrer vierten Platte "White Hats" mit so vielen Ideen, dass man in Ehrfurcht versinken möchte - wäre da nicht dieser luftige Popappeal.
(2006.09.17, 15:16)

"Viele Leute haben die Idee schon aufgegeben, dass es mit der Musik überhaupt weitergehen könnte. Das ist doch unsäglich - nach Wagner haben auch viele gedacht, es käme nichts mehr, aber die haben nicht mit der Zwölftonmusik gerechnet und auch nicht mit der Demokratie, die jetzt durch MP3s rein gekommen ist!? Wie Niobe alias Yvonne Cornelius voller Emphase in ihrem schönen, geräumigen Studio in der Kölner Südstadt ("In der Nähe des legendären WDR-Studios, wo Can aufgenommen haben!") ihren positiven Ausblick auf den Status Quo aktueller Musik zusammenfasst, ist nicht unbedingt ein Statement, das im Popkontext von der Mehrheit wissend abgenickt würde. Aber Niobe, die ihre mittlerweile vierte Platte nach einem Ausflug zu Sonig wieder bei ihrem ersten Label Tomlab veröffentlicht, ist so weit von dem entfernt, was gewöhnlich unter Pop und elektronischer Musik firmiert, wie man sich das nur vorstellen kann.

Zwischen wuchtigen Synthesizern, großen Schubladen voller Sound-Disketten und einem Schlagzeug erklärt mir die am Konservatorium ausgebildetete, fast zwanghafte Musiktüftlerin gänzlich unkokett, ihr Lieblingskomponist sei Pergolesi (1710-1736) und sie höre am liebsten klassische Musik. Ihr eigener Output ist so wunderlich vielschichtig und völlig unkategorisierbar zwischen digital und analog, Oper, Jazz und Pop, Cut-Up-Experiment und dann doch eben Pop, dass ihr nach einem Auftritt in Lissabon ein Musiklehrer ergriffen gestand, für ihn habe sich mit ihrer Platte eine ganze Welt eröffnet. Doch wo die Vorgänger "Radioersatz" (2001), "Tse Tse" (2003) und "Voodoolooba" (2004) mit ihrer wild umher springenden Fülle an Ideen die Aufmerksamkeit von E-Musik forderten, ist "Cool Alpine", das sich aufgrund von Niobes Liebe zu den Bergen quasi selbst so benannt hatte ("Meine Mutter musste mir schon als Kind einen Stoffkalender mit einem Bayern drauf kaufen!") unüberhörbar poppiger.

"Tom von Tomlab wollte diesmal eine Platte, die nicht so zerrupft wird, denn normalerweise sehen meine Songs vorher so aus, und dann werden sie von mir auseinander genommen. Ich selbst finde meine Musik aber immer total zugänglich, unkompliziert und populär. Das Problem ist, dass mir einfach sehr schnell langweilig wird und ich deswegen mit immer neuen Ideen gefüttert werden muss." Auch jetzt sind die neuen Tracks ihres - nach wie vor klug dekonstruierten - Albums so vollgestopft mit Sounds und Ideen, dass andere aus einem ihrer Stücke drei Platten gemacht hätten. Und fast alles nimmt Yvonne selbst auf, der kurze Schnipsel traditionellen afrikanischen Gesangs, den ich am Anfang von "White Hats" stolz als solchen isoliert hatte, ist in Wirklichkeit eine von ihr selbst eingesungene und -gespielte Melodie.

Beängstigend, was in dieser Musikerin noch steckt, wenn schon solche Minidetails so minuziös und aufwändig durchkomponiert werden. Alles muss rund sein, wenn sich Yvonne am Ende eines Tracks einmal um sich selbst dreht - was irgendwo hakt, wird ohne Erbarmen gelöscht und von Null neu aufgebaut. Auch die Idee des Songs muss stimmen und genau durchdacht sein: "Bei 'Cool Alpine' wollte ich die Atmosphäre einer imaginären Bar erzeugen, in der ich gerne genau solche Musik hören würde, und dabei sollte noch das Bild eines Cabriolets mit vier bis fünf Wermut-betrunkenen fröhlichen Menschen entstehen, das mit rasender Geschwindigkeit eine Bergstraße entlang braust." Und denkt nur: "Cool Alpine" evoziert nicht nur all das, sondern ist darüber hinaus auch noch ein lupenreiner House-Knaller geworden. Damit muss man erst mal fertig werden. | intro juli 06
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