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The Pipettes
 
Eine Girl Group wie aus den 60er Jahren: gepunktete Kleider, Fingerschnipsen, zuckersüßer Gesang - und Texte, die vor sexueller Ironie und Aggression nur so strotzen.
(2006.11.15, 21:03)

Ein Paradox

Mit allem war in letzter Zeit zu rechnen - und beinahe alles paradierte schon in den Hitparaden auf und ab: Exzessives Ausweiden der 80er Jahre, Rückkehr von Psychedelic zwischen Gitarrengegniedel und Synthbombast, sogar auf eine Wiederkehr der 90er im Grungegewand ist man bereits gefasst. Aber hierauf nun doch nicht: Die Pipettes aus dem englischen Strandbad Brighton. Die sehen nämlich nicht nur aus wie eine klassische Girl Group aus den 60er Jahren, sondern sie klingen auch so. Und obwohl niemand darauf gewartet zu haben scheint, stürzen sich alle umso begeisterter auf den zuckersüßen Chorgesang von Gwenno, Becki und Rose, die mit Handclaps und kecken Choreografien vor ihrer rein männlichen Begleitband, den Cassettes, ihre Updates opulent orchestrierter Schlager performen.

Aber wenn die Begeisterung für den Look and Feel der 60ies vor dem Hintergrund amerikanischer Indie-Girls, die seit Jahren nichts anderes abfeiern, und dem stetig wachsenden Output von Girl-Group-beeinflussten Bands wie der All Girl Summer Fun Band, Pony Up oder The Ettes letztlich gar nicht so überraschend ist, steckt hinter dem Erfolg der Pipettes doch ein kühl ausgeklügelter Plan: Denn Musiker und Promoter Monster Bobby fühlte eine Marktlücke und castete für sein Nischenprojekt drei Mädchen - Originalmitglied Julia, jetzt nicht mehr dabei, sei eines Tages im Pub mit dem KLF-Handbuch auf ihn zugekommen und habe gesagt: "I want to be in a band. Exploit me!" Die Sängerinnen wiederum recherchierten akribisch die Geschichte der Girl Groups, um sich dem Vorhaben möglichst analytisch und authentisch nähern zu können - fast. Denn bei den Pipettes ist natürlich nichts mehr so, wie es damals war. In ihrem Manifest, in dem sie den Einfluss der Beatles zugunsten von Phil Spector bashen, jonglieren sie mit musikalischen Referenzen zwischen Afrobeat und Riot Grrrl, in ihren mitunter angepunkten Songs führen sie eine Form von sexuell aggressiver Weiblichkeit auf, die einem feminin adaptierten Ladism deutlich näher steht als dem keuschen Frauenbild ihrer Vorgängerinnen, und im Interview handeln sie so eloquent wie fix alle Positionen von Feminismus bis Eskapismus ab, dass an ihrer Reflektiertheit kein Zweifel mehr bestehen kann.

"Als ich das erste Mal Sleater-Kinney auf der Bühne gesehen und gemerkt habe, was die für eine unglaubliche Energie und Autonomie ausstrahlen, ganz unabhängig von ihrem Geschlecht, war mir klar, dass ich so etwas auch mal machen will", erinnert sich Becki. Und zieht dabei überraschende Parallelen zwischen (Post-)Riot Grrrl und den Bühnenpersönlichkeiten von Girl Groups: "Was uns an Girl Groups gefällt, ist dieses Unsexuelle: Es treten zwar eindeutig weibliche gekleidete Frauen auf, aber sie stehen nicht unter dem Zwang einer Selbstdarstellung durch Übersexualisierung - den ja im Übrigen Madonna ganz massiv als Maßstab für weibliche Performer eingeführt hat, was ich ihr ziemlich übel nehme."

Die Pipettes sind ein Paradox, eine Anhäufung von Widersprüchen: Geleitet von einem (post)feministischen weiblichen Selbstermächtigungs- und Solidaritätsgedanken, verehren sie Phil Spector, der für die Crystals den frauenverachtenden Song "He hit me (and it felt like a kiss)" arrangierte. Sie evozieren durch Retro-Sound und -Styling eine geschlechtspolitisch regressive 50er und 60er-Jahre-Idylle, aber schmettern dazu aggressive Texte über Klammeraffen-Boys, die doch eigentlich nur für einen One Night Stand verwertet worden seien. Und wieso das letztlich doch alles so saugut funktioniert, obwohl es doch eigentlich nicht funktionieren kann? Das liegt, neben der Tatsache, dass das komplette Gerüst der Widersprüchlichkeit von den smarten Ladies bereits mitgedacht ist, wahrscheinlich auch daran, dass jeder einzelne der 14 Songs mit seiner hymnischen Melodiegenialität diese Paradoxa fast körperlich auflöst. | intro aug 06
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