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Voll das Leben: Von süßen Boys und hübschen Girls
 
Wir haben sie gelesen. Wir lesen sie teilweise immer noch. Wir lassen uns, mit aufgerollten Fußnägeln zwar, beeinflussen vom Schönheits-, Flirt- und Sexaufklärungsterror der Mädchenzeitschriften
(2002.07.28, 21:29)

Wir haben sie gelesen. Wir lesen sie teilweise immer noch. Wir lassen uns, mit aufgerollten Fußnägeln zwar, beeinflussen vom Schönheits-, Flirt- und Sexaufklärungsterror der Mädchenzeitschriften. Mit Ende 20 fällt eine kritische Rezeption leicht(er), aber wie sieht es für die eigentliche Zielgruppe aus? Welche Messages werden jungen Mädchen mitgegeben und inwieweit hat sich mittlerweile nicht doch ein protofeministischer Unterton eingeschlichen? Ute Hölzl und Sonja Eismann haben die aktuellsten Ausgaben der größten deutschsprachigen Mädchenmagazine auf Herz und Nieren überprüft.

Mit Schrecken erinnere ich mich daran, wie ich als Teenage Girl regelmäßig bei meiner besten Freundin die Nase in ihren dicken Stapeln von "Mädchen" versenkt habe und mich danach unablässig gequält habe mit Fragen wie "Warum habe ich denn mit 15 noch keinen festen Freund?" oder "Muss ich jetzt auch immer rosa Lidschatten auflegen?". Neben allem Beauty, Mode und Freundinnen-Tamtam waren es doch Liebe und vor allem SEX bzw. die so genannte Aufklärung darüber, die stets im Brennpunkt des Interesses standen. Im Gespräch mit einem männlichen Freund über die ambivalente Natur von Mädchenmagazinen meinte dieser letztlich zu mir: "Sieh?s doch mal so, die Mädchen sind zwar dadurch dem Beauty- und Dating-Terror ausgesetzt, aber durch den mittlerweile doch recht offenen Umgang mit Sex und Körperlichkeit passiert zumindest eine minimale Aufklärung. Für Jungs gibt es das nicht mal ansatzweise."

Hmm, etwas Wahres ist schon dran, aber wird durch die omnipräsente Suggestion von erstrebenswerten Normen wie "einen Freund/Schwarm haben" und "dünn/fit/schön/trendy sein" nicht mehr Selbstbewusstsein plattgemacht als von (sowieso zwiespältigen) offensiv emanzipierten Schlagzeilen wie "Coole Gründe, deinen Lover zu entsorgen" wettgemacht werden kann? Bei einem Blick auf populäre englischsprachige Mädchenmagazine wie More! und Sugar stellt Angela McRobbie fest, dass diese durch ihren offensiven Umgang mit Sex mehr für die öffentliche Sexualerziehung geleistet hätten als staatliche Institutionen, und dass weibliche Unabhängigkeit mittlerweile der Subtext zu jedem Frauen- und Mädchenmagazin sei, da die Mitarbeiterinnen dieser Publikationen zumeist akademisch ausgebildete Frauen seien, die sich häufig selbst als Feministinnen definierten. Die übertriebenen Inszenierungen von Weiblichkeit wie emotionale Schwärmerei und modisches Auftakeln geschähen hier wie beim Film "Clueless" als ironische Performance, die den Mädchen "room to breathe" und "space to explore new emotional ground on their own terms" zugestatte (McRobbie: 127).

Entweder die britischen Publikationen, die McRobbie untersucht hat, sind tatsächlich offensiver als die hierzulande erhältlichen deutschsprachigen Hefte, oder sie hat subtiler zwischen den Zeilen bzw. Abbildungen gelesen, denn unsere Analyse bestätigt ihr eher positives Urteil nur teilweise.

Für den großen "Test" haben wir also unser ganzes Taschengeld in der Trafik liegengelassen und uns mit Lesestoff für ein verregnetes Wochenende eingedeckt. Mit dabei sind: Bravo Girl und Mädchen - zwei Zeitschriften, die es schon seit unserer (verflossenen) Jugend gibt, Sugar und 16, Klone von englischsprachigen Formaten, und Young Miss, die Mädchenzeitschrift der Brigitte sowie ihre Kopie Young World, Töchterlein der Wienerin. Gehaltvoller Lesestoff also. Blättert man die Zeitschriften durch, die bis auf die beiden Klassikerinnen Bravo Girl und Mädchen auf dickem Papier gedruckt sind und insgesamt einen seriöseren, an ?erwachsene? Frauenmagazine angelehnten Eindruck machen sollen (Bravo Girl und Mädchen erinnern von Layout und Papierqualität eher an Bravo und Klatschblättchen à la Neue Post), wird man schon bald in die Tiefen der pubertären Leiden hinabgezogen: "Die tollen Typen beachten mich fast gar nicht", "Ätzend! Vor den Tagen habe ich Pickel am Kinn!" oder "Luzia, 15: Mein erstes Mal .... war mit meinem Ex". Vor allem in Bravo Girl, Mädchen, Sugar und 16 geht es hauptsächlich um Styling, Mode, Beauty, und natürlich... Boys und Sex. Die Auflistung der Rubriken in Sugar kann aber als stellvertretend für alle Magazine gesehen werden: Liebe, Boys & Sex, Fashion, Beauty, Stars und Dies & Das (Horoskope etc.) sind die dominierenden Themen in allen Magazinen.

Alles was hip ist

Die INs und OUTs sind in allen Zeitschriften wichtig: Mode für "schrille Disco Nächte", "Lila Laune Style" - Hauptsache total im Trend, wobei die Modestrecken oft erstaunlich bieder gestaltet sind und die Redakteurinnen alle von einander abzuschauen scheinen (großes Thema im November: Nieten). Präsentiert wird die oft zumindest erschwingliche Mode entweder von Popstars oder Jung-Models, die wahrscheinlich dadurch den "Real Life"-Bonus bekommen sollen, dass sie etwas linkisch und verlegen lächelnd herumstehen, statt professionelle Posen einzunehmen. Nur in Mädchen findet sich eine Modestrecke mit zwei offensichtlichen Nicht-Models, aber der Körperkodex wird trotzdem allerorten eisern befolgt: dünn, pickellos und feminin. Die Young World gibt Eva, 21, Stylingtipps, wie sie nicht mehr so burschikos daherkommt: dicke Schminke, lila Rock und Handtäschchen betonieren fix das fragwürdige Gender (unser ironischer Kommentar dazu: Come out of the closet, anstatt dich in weiße Lackstiefel zu zwängen!)

So bist du schön und feminin

In Fragen Beauty weichen die Girl-Blätter in keiner Weise von ihren "Müttern" ab, denn in offensichtlicher Kooperation mit der Industrie ? es wimmelt natürlich nur so vor Kosmetikwerbungen, denn die Unsicherheiten weiblicher Teenies lassen sich besonders gut in Geld umsetzen ? werden mehr oder weniger überflüssige Produkte von Riesenkonzernen scheinheilig auf den "News-" oder "Tipps"-Seiten beworben. Besonders heuchlerisch ist die kleine Wienerin, die auf der einen Seite die Überschrift schreibt "Du darfst so bleiben, wie du bist!" (oh, vielen Dank) und darunter fortfährt mit dem beinahe revolutionären Statement: "Du hast eine Figur wie eine Birne? Schön! Schön weiblich", nur um dann auf der nächsten Seite "Tipps und Tricks für die Popo-Zone" zu geben ? die Mädels sollen sich rohe Kartoffelscheiben auf ihre "Problemzonen" drapieren oder die "Frauenzonen" durch Walking festigen. Im "Liebesspecial" von Sugar wird die Angst von bald-nicht-mehr-Jungfrauen, dass sie ihr Boy nackt nicht mehr attraktiv findet, weil sie einen zu kleinen Busen oder einen zu dicken Po haben, damit beruhigt, dass er "sicher auch Schönheitsfehler" hat ? so wissen die Mädchen gleich von Anfang an, dass kleine Busen und dicke Pos definitiv ein Manko sind.

Problem Problem

Die hochglanzige Welt der Mädchenzeitschriften ist nahezu perfekt, die einzigen Risse bekommt das Bild in den Leserinnenbriefseiten: "Vaters neue Frau erwartet ein Kind. Wie soll ich mich jetzt verhalten?" oder "Mutter kotzt nach dem Essen". Das echte Leben findet ansonsten kaum Platz in dieser Traumwelt voll schicker Girls und süßer Jungs, bei denen es nur um das eine geht: Liebe... Aber ein paar Einsprengsel von Pubertätsproblemen abseits von "wie kriege ich meine Pickel weg" oder "welcher Boy passt am besten zu mir?" finden sich doch: Sugar, das über Selbstverletzung bei Mädchen berichtet und auch den Leserbrief eines 15-jährigen Jungen bringt, der lieber ein Mädchen sein will und fragt, wieviel ein Operation denn koste. Allerdings ist die Berichterstattung über "Problem-Issues" meistens sensationsgeil, besonders bei Sugar und 16, die Features wie "Ich bin eine Hexe" oder "Vom Blitz getroffen- trotzdem überlebt" bringen, oder ansatzweise auch bei Mädchen, das einen reißerischen Artikel über "Mobbing in der Schule" hat. Die solide Young Miss der Brigitte hebt sich jedoch wohltuend von diesen Boulevard-Dramoletten ab. Neben einem großen Artikel über eine Clique in einem 100-Seelen Dorf gibt es ein Interview mit einer Psychologin, die Ratschläge gibt, wie man FreundInnen findet, ohne jedoch in übliche Teenie-Sprache zu verfallen.

Dein erstes Mal

Süsser Boy trifft nettes Mädel, es kommt zum Firt und dann zum Leserinnenbrief: "Bin ich jetzt schwanger?" oder "Werde ich von jetzt ab mit jedem neuen Freund auch schlafen müssen?" Obwohl in diesen Seiten viel aufklärerisches Potenzial stecken könnte, wird es immer wieder von zwei mächtigen Gegnerinnen durchkreuzt: Romantik steht über allem und die sexuelle Doppelmoral wird weiter perpetuiert. Es wird weiterhin so getan, als wollten Jungs Sex und Mädchen die zärtliche Bindung ("wird er mich verlassen, nachdem ich mit ihm geschlafen habe?") und als stehe bei Frauen beim Sex eher die Zärtlichkeit als das Erlangen des Orgasmus im Vordergrund: "Mit dem Höhepunkt ist das so eine Sache. Du wirst feststellen, dass du auch später nicht jedesmal dazu kommst". Das ist natürlich kein Wunder, wenn in eigentlich allen Blättern davon ausgegangen wird, dass Sex bedeutet "Penis in Scheide". Statt zu erwähnen, dass für viele Frauen das klassische Rein-Raus-Spielchen allein nicht zum Höhepunkt führt, wird lieber weiter der Mythos vom vaginalen versus klitoralen Orgasmus verbreitet. In den Aufklärungs-Specials wird zwar über Verhütung geredet, aber die Pille wird meistens unkritisch zur besten da "sichersten" Verhütungsmethode erklärt und die Überlegenheit von Kondomen, die vor STDs und HIV schützen, wird nie betont - AIDS ist fast nie ein Thema, das in die heile romantische Welt der ersten Liebe einbrechen darf. Im Mädchen-Special über Boys und ihr erstes Mal wird allerlei romantisches Brimborium wie Strand, Sonnenuntergang und Lagerfeuer bemüht, aber von Verhütung ist kein enziges Mal die Rede, damit die Illusion der körperlichen Liebe als Himmelsmacht, die einen einfach so überkommt, nicht zerstört wird. Was sich beinahe zu sagen erübrigt, ist natürlich, dass Homosexualität auf diesen Seiten nirgends in Erscheinung tritt. Auch wenn die Beschreibungen von inniglichen Freundinnenschaften oft stark homoerotische Untertöne haben ("Meine beste Freundin verlässt bald meine Schule. Ohne sie kann ich nicht leben"), ist es ganz klar, dass der Schwarm immer nur ein Boy sein kann und dass auf den Liebesseiten immer nur von "ihm" die Rede ist. Es gibt zwar gelegentlich Features wie "Verliebt in die beste Freundin" (vor einiger Zeit in Young Miss), aber die stehen immer klar außerhalb des restlichen Konzepts und wirken seltsam unintegriert.

Traumarama

Unter Rubriktiteln wie "Peinlich, peinlich!" oder "Total blamiert" gibt es in fast allen Mädchenzeitschriften eine Seite mit (angeblich) wahren peinlichen Erlebnissen von Mädchen à la "Huch! Ich habe vor dem süßen Bademeister gepupst!". Alison Fensterstock vom amerikanischen Bitch Magazine sieht in dieser Selbskasteiungs-Sektion, die in Seventeen treffend "Traumarama" genannt wird, eine Instanz, die den Leserinnen vermittelt, dass Mädchen-Sein an sich etwas Unangenehmes ist, das eine ständig in Verlegenheit und peinliche Situationen bringt und unsichere Teenage Girls dadurch noch mehr verunsichert. Man könnte natürlich dagegen halten, dass durch das Geständnis von Peinlichkeiten im Freundinnenkreis ein gewisses Female Bonding entsteht, das signalisiert, dass andere durch die gleich Hölle gehen wie man selbst und man nicht allein ist. Bis zu einem gewissen Grad stimmt das sicherlich, doch die Popularität von solchen Seiten liegt wahrscheinlich einfach in einer teenagerspezifischen Schadenfreude, die durch eigene Unsicherheiten ausgelöst wird.

"Sag deiner Freundin, wie sehr du sie magst!"

Gibt es so etwas wie feministische Untertöne in den Zeitschriften? Manchmal, wenn man genau sucht. Was in jeder der Zeitschriften groß geschrieben wird, sind Mädchenfreundschaften. "Best Friends", "Oft lassen sich Probleme von Mädchen von Mädchen am besten lösen" oder "Girls helfen Girls" heißt es da . Mit einigem guten Willen lässt sich hier die Anstiftung zum Seilschaften-Bilden herauslesen. Die Young World hingegen, eindeutig das schwarze Schaf in unserm Test, propagiert in ihrer Liebesstrecke dagegen die "Mundhalten und schön sein Methode" gegenüber dem Macker, dem man ja oft genug sagen solle, dass er der Größte sei (kein Witz!).

Selbstbehauptungsstrategien werden immerhin in fast jeder Zeitschrift präsentiert, auch Karriere steht häufig im Mittelpunkt. "Make your dreams come true" ? aber zumeist nur in Bussiness-Kostüm und Stöckelschuhen. Inwieweit typische Mädchenberufe im Vordergrund stehen, ist nicht klar, der Aufruf ist eher allgemein gehalten: "Du schaffst es" scheinen die Zeitschriften zu suggerieren, denn das Leben besteht ja ? auch in der virtuellen Welt der Mädchen-Magazine - nicht nur aus süßen Boys. Trotzdem: Der Beruf, der am häufigsten vorkommt, ist der des Models. "So wirst du Model", oder "Bewirb dich für unser Casting" lauten die Überschriften zu diesem Thema. Positiv aus dem Rahmen fällt hierbei die Young Miss, denn der im November im Job Special vorgestellte Beruf ist absolut klischeefrei: Orthopädiemechanikerin. Zusätzlich gibt es in jeder Ausgabe handfeste Informationen über Ausbildungsmöglichkeiten oder Praktika. Die Young Miss schafft es auch, sich neben den obligatorischen Dauerbrennern und Problemchen Themen abseits des rosaroten Girl-Universums zu widmen, wie etwa dem Leben von Else Ury, Autorin der "Nesthäckchen-Romane", die in Auschwitz ums Leben kam. Die Young Miss ist eben die Tochter der Brigitte, grundsolide und integer.

Das Leben besteht also tatsächlich nicht nur aus süßen Jungs, aber wozu einen Schluss schreiben, wenn die Eigendefinition von Bravo Girl alles so wunderbar zusammenfasst? "GiRL! nimmt die Leserinnen ernst und füllt so die Lücke zwischen BRAVO und den Frauenzeitschriften für Erwachsene ... GiRL! spricht die Sprache ihrer Zielgruppe, gibt Antworten und stellt '"voll das Leben' in den Vordergrund. 'Wie schminke ich mich richtig? Welcher Modetrend paßt zu meinem Typ? Was ist in?' GiRL! gibt Antworten, die umsetzbar sind. Neben Mode und Kosmetik spielt natürlich auch die Liebe eine große Rolle: GiRL!-Leserinnen machen ihre ersten sexuellen Erfahrungen, erleben Enttäuschungen, setzen sich mit Verhütung auseinander."
Voll das Leben eben. | nylon nov 00
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