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Holly May: Leben unter Glas
 
Mit ihrer ersten CD-EP, die im Oktober 2001 auf Trost erschienen ist, machen mich Holly May eigentlich ziemlich glücklich.
(2002.08.06, 19:51)

Nicht nur sind die fünf Songs auf "Where are the brilliant ballerinas?" im simpelsten und ursprünglichsten Sinne des Wortes schön, ohne aufdringlich überperfekt zu sein, sondern es ist auch gut zu wissen, dass sich in dieser Stadt in nur so kurzer Zeit eine solche Band entwickeln konnte. Erst im Frühjahr 2000 wurde die endgültige Besetzung von Holly May konkretisiert, als zu den ex-Whymandrakes Tanja (Gitarre/Gesang) und Lisa (Bass) noch Sushila von Telenovela (Schlagzeug) und Katrin (Gitarre/Gesang) hinzustießen.

Eine der ersten Reaktionen zu Holly May - neben: wow! - könnte sein: endlich gibt es nicht nur Emocore von Jungs, sondern auch von Mädchen für Mädchen. Was aber eigentlich ziemlich irreführend ist, denn Holly May are taking the core out of emo. Nachdem zwei der Holly May-Mitglieder bei der Wiener Hardcore-Band Whymandrakes das Core-Genre schon genügend bearbeitet haben, können sich die vier Frauen jetzt ganz gelassen weicheren Gefilden widmen, wobei aber klassischer Gitarrenindie der härteren Gangart nicht komplett links liegen gelassen wurde, sondern immer noch wohlwollend aus dem Rückspiegel betrachtet wird und sich besonders in Songformat und -strukturen niederschlägt.

In ihren fragil-zarten, dabei aber nie orientierungslos oder gar weinerlich klingenden Liedern mit durchwegs enigmatischen Texten werden Fragen aufgeworfen, die niemand beantworten kann oder soll. Die Intensität mancher Tracks erinnert an die große Cat Power, und dann fällt mir Mary Timony von Helium mit ihren wehmütigen Gesängen über Dungeons und Dragons ein. Denn ähnlich wie bei Mary fühlt man sich vom glasklaren, schmerzlich harmonischen Gesang in melancholische Winterlandschaften entführt - und trotz Pathos-Gefahr muss ich es sagen - verzaubert (vielleicht hat da der Studioaufenhalt in Umea im kühlen Nordschweden noch ein Übriges hinzugefügt?). Überhaupt schwebe ich bei der Beschreibung dieser ganz wundervollen Platte stetig in höchster Kitsch-Gefahr, die aber paradoxerweise nur meinen händeringenden Versuchen nach adäquater Beschreibung anhaftet, die Musik aber an keiner Stelle befällt.

Wahrscheinlich ist es eines der größten Verdienste von Holly May, wunderschön melancholische Musik mit traurigen Gitarren, verloren klingenden Pianos und sehnsüchtigem (Doppel-)Gesang zu schaffen, ohne dabei je in Schwermuts-Klischees zu erstarren (wie so viele männliche Kollegen aus der gleichen Sparte). Holly Mays Musik geht ganz tief runter und ist dabei leicht wie eine Feder. So muss wohl das Leben, unter Glas betrachtet, klingen. Dass sie dabei mit ihrem Wirken auf den Ausschluss von Frauen aus dem Produktionsbereich von Popkultur aufmerksam machen wollen und dabei Reflektiertheit und Willen zum Statement beweisen, macht das ganze Projekt noch umso besser. Jedoch: wenn es solche Bands wie Holly May in Wien gibt, mache ich mir um den state of female pop music bald keine Sorgen mehr. Ganz große Empfehlung.

"Where Are The Brilliant Ballerinas" von Holly May ist bereits auf Trost erschienen. (Eine gute Gelegenheit, eine Addition zu Wiens eher schwachbrüstiger Plattenladen-Infrastruktur zu besichtigen, ist der neue Plattenladen Substance in Wien 7, in der Westbahnstraße 12, in dem man auch alle von Trost vertriebenen Platten kaufen kann). | fm4.orf.at okt 01
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