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One bad bitch
 
Für Winter Santiaga, die Protagonistin von Sister Souljahs Roman "The Coldest Winter Ever", zählen nur drei Dinge im Leben: Sex. Geld. Und noch mehr Geld.
(2002.08.07, 18:30)

Now a bad bitch is a woman who handles her business without making it seem like business. Only dumb girls let love get them delirious to the point where they let things that really count go undone. For example, you see a good-looking nigga walking down the avenue, you get excited. You get wet just thinking about him. You step to him, size him up and you think, Looks good. You slide you eyes down to his zipper, check for the print. Inside you scream, Yes, it?s all there! But then you realize he?s not wearing a watch, ain?t carrying no car keys, no jewels and he?s sporting last month?s sneakers. He?s broke as hell. A bad bitch realizes that she has two options: (1) She can take him home and get her groove on just to enjoy the sex and don?t get emotionally involved because he can?t afford her; or (2) She can walk away and leave his broke ass standing right there. Having a relationship is out.

Für Winter Santiaga, die Protagonistin von Sister Souljahs Roman "The Coldest Winter Ever", zählen nur drei Dinge im Leben: Sex. Geld. Und noch mehr Geld. Die Tochter eines Brooklyner Drug Lords wird auf den Namen Winter getauft, weil sie während eines der heftigsten New Yorker Schneestürme im Januar 1977 geboren wird. Wie ihr symbolträchtiger Name ist auch Winter selbst eiskalt. Als sie als Neugeborenes aus dem Krankenhaus nach Hause kommt, schenkt ihr der Vater keine Rassel, sondern einen 24-Karat-Gold-Ring. In ihrer Kindheit und Jugend, die sie in den Projects von Brooklyn verbringt, schwimmt die Tochter des gefürchteten Drogenbosses Ricky Santiaga im Luxus und genießt die Ehrfurcht, die ihrer sozialen Stellung und ihrer Schönheit entgegen gebracht werden. Neben ihrem grenzenlosen Konsumwahn, dem sie aufgrund des Reichtums ihres Vaters uneingeschränkt nachgehen kann, entdeckt sie bald ihre einzige andere Leidenschaft: den Sex. Schon mit 12 lässt sie sich von einer älteren Freundin Blow-Job-Unterricht geben und sucht sich "fine niggas" zum Bumsen. Ihre zahllosen Freundinnen bewundern sie und hoffen, dass etwas von ihrem Glanz auch auf sie abstrahlt.

Eine fast paradiesische Existenz fernab von allen Ghetto-Miseren-Klischees also - bis sich schlagartig alles ändert. Die Familie wird vom Vater ohne Angaben von Gründen ins schick-weiße Long Island umgesiedelt und darf nicht mehr ins geliebte Brooklyn zurück. Kurz darauf wird die Mutter angeschossen, der Vater wird aufgrund eines Putsches innerhalb der Organisation von der Polizei hochgenommen und die Familie verliert ihren gesamten Besitz, da alles mit illegalen Geldern gekauft wurde. Winters drei jüngere Schwestern werden dem Sozialamt übergeben, Winter selbst, noch nicht volljährig, flieht vor dem gleichen Schicksal und sucht Unterschlupf bei alten Bekannten. Doch nun, wo Geld und Macht futsch sind, kann sie sich die bevorzugte Handlung nicht mehr erkaufen und driftet von einem Ort zum nächsten. Sie setzt ihre Hoffnungen in ihren Jugendschwarm Midnight, ein Handlanger ihres Vaters, der sich von ihren offensiv-aggressiven Avancen nie beeindruckt gezeigt hatte. Er ist fair zu ihr, aber er gibt ihr deutlich zu verstehen, dass er ihre Oberflächlichkeit und Geldfixiertheit abstoßend findet und in Zukunft weder etwas mit ihr noch mit weiteren Drogengeschäften zu tun haben will. In ihrem hoffnungslosesten Moment kommt Winter ausgerechnet bei der Sozialaktivistin Sister Souljah unter, die interessanterweise in ihrem eigenen Buch als Protagonistin auftritt.

Für Winter ist Sister Souljah eigentlich ein Feindbild, da sie ständig vom Community-Gefühl der Schwarzen daherfaselt und Drogenhandel strikt ablehnt. Ausserdem ist Midnight ein großer Fan von ihr (oder etwa noch mehr als das?) - und das, obwohl die Gute, ganz im Gegensatz zur stets supergestylten Winter - überhaupt keinen Wert auf ihr Äußeres legt. Tja, und am Ende nimmt die Geschichte eine so überraschende Wendung, dass mir fast das Buch aus der Hand gefallen wäre- aber dafür müsst ihr diesen spannenden, roh und hart geschriebenen Roman schon selbst lesen.

Obwohl die Message des Werks ziemlich klar rüberkommt - egoistische Geld- und Libidofixiertheit sind der downfall der Schwarzen -, ist ?The Coldest Winter Ever" kein moralinsaures Werk. Der Autorin, berühmte HipHopperin (früher bei Public Enemy) und medial gefeierte Polit-Aktivistin, ist es gelungen, die stahlharte, ich-süchtige Protagonistin irgendwie sympathisch oder zumindest doch nachvollziehbar zu zeichnen. Oder ist es einfach die Toughness und der kristallklare Killerinstinkt der Ghetto Queen, die uns Weißbroten atemstockende Bewunderung abringen? So schockierend die Szene sein mag, in der Winter ihren Fickpartner mit der Taschenlampe ausleuchtet, um ihn dann aufs Übelste zu beschimpfen und zu verjagen, weil er statt eines Riesen-Dicks nur ein kleines Würmchen zwischen den Beinen vorzuweisen hat, so kann man oder eher frau sich doch eines kleinen Schmunzelns ob der bedingungslosen Einforderung der absoluten sexuellen Befriedigung, und zwar hic et nunc, nicht erwehren - zumal Frauen öffentlich bzw. medial viel zu selten knallhart auf ihre Sex-Rechte pochen (auch wenn das wirklich nicht gerade die nette Tour ist - aber Winter ist eben keine Nette).

Doch genau dieses bedingslose Ausleben von (übrigens offensichtlich sehr erfüllendem) Sex gepaart mit der Abhängigkeit von materiellen Gütern ist es, die die Autorin als den größten Stolperstein in Winters Leben zeichnet. ?This kind of dress gets a girl in trouble" sagt Rashida, kurzzeitige Wegbegleiterin von Winter und Alter Ego von Sister Souljah, nachdem Winter sie dazu genötigt hat, ein sexy Kleid von ihr anzuprobieren. Auch Sister Souljah selbst, der große moralische Gegenpol zu Winter, ist ausgesprochen unkörperlich und mit den heißesten und berühmtesten Männern aus der Rap-Community, die bei ihr ein und aus gehen, nur platonisch befreundet. Die Botschaft hierbei ist mehr als klar: Schwarze, besonders afro-amerikanische Frauen, werden durch ihre Sucht nach Konsum und Sex in einer modernen Form der Selbstversklavung gehalten, durch die sie nur bessere Bildung, Stärkung der Gemeinschaft und vor allem - Entsagung befreien können. Auch wenn die Autorin die Situation in den schwarzen urbanen Communities natürlich millionenfach besser kennt als ich, erscheint es mir doch riskant, durch diese verallgemeinernden Untertöne solche festschreibenden Klischees wieder zu bekräftigen.

Dennoch: Winter Santiaga ist trotz all ihrer Fehler und korrumpierten Wertvorstellungen eine so starke Persönlichkeit, die noch dazu den gesamten Roman mit ihrer kraftvollen Stimme aus ihrer ureigenen Perspektive erzählt, dass Zweifel an der unumstößlichen Richtigkeit von Sister Souljahs Werten durchaus im Buch selbst angelegt sind. Und diese Lesart macht das Werk, das allein von seinem Plot her hochgradig lesenswert ist, so überaus spannend.

Sister Souljah: The Coldest Winter Ever. | fm4.orf.at aug 01
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