plastikmädchen
texte zu feminismus und popkultur
 
musik

buch

comic

film/tv

mädchen

alltag

wer

was


home


xml version of this page
Von der Erbeere bis zum Swimmingpool
 
Dürfen Comic-Figuren so niedlich sein? Am liebsten würde ich jedesmal die kleinen Geschöpfe von Evelin aus ihrer bunten Phantasiewelt reißen und abknuddeln.
(2002.08.12, 13:30)

Diese kleinen Geschöpfe mit den riesigen Kulleraugen, die nur das Produkt einer Liebesheirat zwischen einer Manga-Mama und einem Playmobil-Papa sein können und hip-schmuddelig Flohmarkt de luxe eingekleidet sind, würde ich jedesmal am liebsten aus ihrer bunten Phantasiewelt reißen und abknuddeln, mmh, knutsch. Ich geb?s ja zu, das Kindchenschema ist im vollen Effekt.

Die Zeichnungen der Wahlberlinerin Evelin Höhne, Künstlerin, Musikerin und Labelbetreiberin in einem, lächeln einem mittlerweile unschuldig-plüschäugig von zahllosen Plattencovern - vielen ist sicher noch ihr Unterhemd-Mädchen auf der Stolz&Vorurteil-Compilation im Gedächtnis - Tourplakaten, Illustrationen und auch aus Galerien entgegen. Das kindliche Flair der gemalten Persönchen, gepaart mit dem Retro-Chic ihres Stylings - Haarspängelchen und bunte Kleidchen bei den Mädchen, Seitenscheitel und enge Pullis bei den Jungs - erobern das Herz der meisten im Sturm, stoßen bei manchen aber auch auf pures Unverständnis. So erzählt mir Evelin, dass ihr Zeichenstil von einer feministischen Publikation fürchterlich verrissen worden sei, weil die die Drolligkeit der großen Augen, gemalt von einer Frau, einfach nicht akzeptieren konnte. "Wenn es nach denen gegangen wäre, hätte ich die ganze Zeit klassische Mädchenakte zeichnen können, aber nicht sowas."

Dabei macht der distinkte Stil einen Weg in ihren privaten Mikrokosmos auf, der durch die Zeichnungen von innen betrachtet wird, weil sie, ohne bewußtes trendschielendes Kalkül einfach das zeichnet, was sie schön findet. Manche ihrer FreundInnen behaupten sogar, ihre Figuren sähen aus wie sie selbst. "Klar, ein bißchen Ich ist in allen Zeichnungen drin, Comic-Bilder zeichnen ist ja manchmal auch wie Tagebuch schreiben."

Außerdem habe sie schon immer gegenständlich und irgendwie realistisch gemalt; auch in der prä-Berliner Zeit in ihrer Heimatstadt Kassel, als sie sich ihrem besorgten Papa zuliebe zur Kinderkrankenschwester ausbilden ließ, war ihr als Sujet alles "von der Erdbeere bis zum Swimmingpool" recht, abstraktes Rumexperimentieren mit Farben dagegen zu verkopft, und, äh, eben zu abstrakt. Die Augen der kleinen ProtagonistInnen waren schon damals groß, aber richtig ausgefeilt wurde ihr von (Punk-)Fanzines beeinflußter Stil erst, als sie ?92, nach einem Praktikum als Bühnenbildner-Assistentin am Staatstheater Kassel, in die neue Hauptstadt übersiedelte, um dort ihr Abitur nachzumachen. Die durch das Theaterpraktikum geweckten Hoffnungen, im Kunstleistungskurs am Abendgymnasium endlich das machen zu können, was sie wirklich interessiert, Kunst halt, wurden durch ihre Uneinsichtigkeit in antiquierte Schuldogmen - "Warum muss denn rot warm sein und blau kalt? Es kann doch auch mal umgekehrt sein!" - etwas abgedämpft. Durch Zufall entdeckte sie dann aber einen Aushang, in dem die Menschen vom Renate-Comic einen Zeichenkurs anboten, der sich dann (natürlich) als Comic-Kurs herausstellte, in dem sie die ganze Zeit enthusiastisch Diamanten malte und sich mit AktivistInnen der Berliner Comic-Szene anfreundete. Trotz ihrer tiefen Involvierung in die Szene und ihrer Begeisterung für Comics malt sie aber weiterhin lieber für sich stehende Bilder, denn sie vertraut erstens nicht ganz in ihre Fähigkeiten als kohärente Geschichtenerzählerin, und zweitens, warum soll sie sich drei Monate an den Zeichentisch setzen, wenn sie an einem Tag fünf Bilder malen kann, die man an die Wand hängen kann? Das Leben geht einfach schneller als das.

Für ein Projekt hat sie sich aber sogar aufgerafft, eine Story zu zeichnen: für die Nr. 1 des Frauen-Comic-Magazins "XX", das sie zusammen mit der Comickünstlerin Lilian Mousli bei Jochen Enterprises herausgibt und das auf Evelins Anstoß hin entstanden ist. "In Berlin in der Comicbranche macht jeder irgendwie so sein eigenes Ding und wurschtelt vor sich alleine hin", und obwohl Grrl-Widerständigkeit in aller Munde ist, hat es bis dahin noch niemand geschafft, einen repräsentativen Querschnitt durch die Produktivität von Zeichnerinnen in Heftform zusammenzubündeln. Davon überzeugt, dass es da draussen viele aktiv-kreative Frauen gibt, die genau wie beispielsweise in Amerika über ihr Leben zeichnen und zeigen, was sie so bewegt, aber hier nicht veröffentlicht werden, und genervt von den ewigen Klischees von quasi kanonisierten Frauensorgen wie dunklen Heimwege und Nöten und Freuden der Menstruation, die in "kritischen" Zeichnungen quälendes Muss seien, wollte sie zeigen, dass der Alltag von Mädchen anders aussieht, dass es um was anderes geht und es zum Glück mehr ist als das. Und das selbstverständlich. Das Stereotyp von der "zwar kritisch denkenden, dabei aber unglücklichen und begeisterungslosen Frau bzw. Künstlerin" sollte dabei energetisch aus den Blättern radiert werden. Hat ja geklappt.

Obwohl Evelin betont, dass sie leider kein Octopus sei und nur zwei und nicht acht Arme zum Produzieren habe, darf man staunend zur Kenntnis nehmen, dass sie neben ihren extensiven Mal-und Ausstellungstätigkeiten - zur täglichen Brotbeschaffung fertigt sie Porträts nach Fotovorlage an - auch noch Musikerin und Co-Labelbetreiberin des "Fucky Laibels" ist, auf dem unter anderem ihre beiden Bandprojekte Art of Kissing und Minitchêv erscheinen. Das "Laibel", das sie mit ihrem ehemaligen Nachbarn Julius Nerdinger gemeinsam betreibt, bekam seinen verwegenen Namen durch das wollige schwarze Tierchen, das konstant immer irgendwo durch Evelins Bilder kugelt und in seiner Funktion als Leitfigur sowas wie Evelins Bart Simpson ist."Sein Name hat rein gar nichts mit Sex zu tun, aber wenn man ihn anschaut, merkt man einfach, dass er gar nicht anders heissen kann als Fucky", erklärt sie mir zu dem Phantasie-Viech, das manche schon zu Assoziationen wie "gerupftes Monchichi" getrieben hat, und tatsächlich, als er mir augenrollend und ohrenwackelnd mit schuldbewußt-zerknautschtem Blick von ihrer Homepage entgegenblinzelt, verstehe ich sofort.

Seit drei Jahren gibt es das Fucky Laibel jetzt schon, und zum Glück hat Julius massig Zeit und Evelin zwar wenig, dafür aber viele Ideen für Projekte und Vorschläge für neue Bands, so dass zweimal im Jahr eine Vinylveröffentlichung möglich ist, und das sogar ohne finanziellen Verlust. Der neueste Release ist eine Compilation in Koproduktion mit Flittchen Records, die bei einem Zusammentreffen der jeweiligen Labelbetreiberinnen beim abendlichen Ausgehen ausgeheckt wurde und dessen Basisidee laut Evelin war, nicht nur ein oder zwei großartige Stücke draufzunehmen, sondern ausschließlich solche. Mehr solche Ideen!

In ihren eigenen Bands, die natürlich auch auf dem Sampler vertreten sind, kümmert sich Evelin um Songwriting, Melodien, Singen und auch Keyboard, aber das nur "ganz dilettantisch" (jaja). Für die nähere Zukunft hat sie unter anderem geplant, ein modernes Benimm-Buch rauszubringen, "aber mehr auf die schräge Tour". Hätte uns ja auch gewundert. Vielleicht mit Fucky als Anstandsonkel? Und da soll noch jemand sagen, die Frau ist KEIN Octopus... | nylon märz 00
kontakt