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agf
 
Mit "Westernization Completed" unternimmt agf, bekannt auch als eine Hälfte des Berliner Elektronik-Duos Laub, eine poetisch-experimentelle Reise durch Osten und Westen zu sich selbst.
(2003.11.28, 13:25)

Verwestlichung abgeschlossen

agf, das klingt sanft und bedeutsam nach bunten Filmrollen, vergessenen chemischen Verbindungen oder mysteriösen Briefkastenfirmen, die einem die Mailbox mit bombensicheren "Business Proposals" verzieren. In unserer Wirklichkeit verbirgt sich hinter diesem eleganten Kürzel allerdings Antye Greie, die als eine Hälfte des ätherischen Elektronikprojekts Laub schon Credits rund um den Globus abernten konnte. Ihr zweites Soloalbum "Westernization Completed" übersetzt nicht mehr wie ihr Debüt "Head Slash Bauch" html-Code in Klang, sondern beschreibt ähnlich experimentell die West-Subjektwerdung der 1969 in Ostdeutschland Geborenen.

Am Anfang steht eine sperrige Platte, die scheinbar nicht in einen rein will mit ihren verhackstückten Strukturen, den heterogenen Soundschnipseln und eigenwilligen Texten. Doch dann wird bald klar: alle müssen raus, nur dann geht es rein in die Platte. Und nicht umgekehrt. Wer "Westernization Completed" (Orhtlorng Musork / Cargo) genießen möchte, sollte erst mal alle anderen auf den Mond schießen und die Sounds in einem leeren Raum in alle Richtungen zischen lassen. Denn agfs zweites Solowerk mit seinen Klanginstallations-artigen Soundschichten, über denen meistens rezitierend Antyes gebrochen flüsternde, klare Stimme hängt, ist ein geradezu dringlich intimes Album, und auch kein einfaches. Ein bisschen Zeit braucht man, und die Bereitschaft, all den Erwartungen an Strophe-Refrain-Trägheit adieu zu sagen. Was sich dann entfaltet, ist erstaunlich: still und laut, fordernd und beruhigend, experimentell und pleasing.

Den Albumtitel, erzählt Antye, habe sie extra gewählt, damit ihr in Interviews nicht immer die ewig gleichen, sterbenslangweiligen Fragen nach ihrem technischen Equipment und Produktionsweisen gestellt würden. Lieber rede sie über Inhalte, über Politik. Der Titel, der tongue in cheek-mäßig die Assimilation der ehemaligen DDR-Bürgerin an das westliche System im Computer-Installations-Sprech karikiert, beschreibt das inhaltliche Programm der Platte, das im Track "Contemporary Westernized" kulminiert. Dort representet sie "wie im HipHop" ihre Biografie für ihre zahlreichen internationalen Fans, damit die verstehen, wo sie her kommt, wo sie steht und was Aufwachsen in der DDR mit nachfolgender Umpolung ganz unspektakulär auch bedeuten konnte: "I never took a smoke / I never took a line / until I was 20, they weren't available." Erst jetzt habe sie das Gefühl, endlich wieder eine klar ausdifferenzierte politische Meinung für sich formulieren zu können, denn nach der Wiedervereinigung ruderte sie erst mal im Strudel der Alltagsorganisation:

"In der DDR gab es von allem eins: eine Sorte Zucker, eine Sorte Waschpulver etc., und auf einmal wurde das Gleiche tausendfach angeboten. Woher sollte ich wissen, was das Richtige war? Mein Großvater hat immer einen kommunistischen Denker zitiert: 'Du bist wer, wenn du weißt, wo du stehst.' Lange war dieses Wissen um den eigenen Standpunkt bei mir vollkommen verschüttet, aber jetzt endlich habe ich das Gefühl, wieder bei mir selbst angekommen zu sein. Ich finde die Aufarbeitung dieses Umbruchs unglaublich wichtig und ich habe selbst mittlerweile so viele FreundInnen und Fans auf allen Kontinenten, dass es ganz natürlich war, als agf englisch zu texten - obwohl bei Laub die deutschen Texte so zentral sind. Ich kann mich noch erinnern, als ich Anfang der 90er mit Sack und Pack nach London verduftet bin und dann vor dem Fernseher saß und kein einziges Wort verstanden habe. Ich habe mir die Sprache komplett selbst beigebracht, wie auch das meiste beim Musikproduzieren."

Gleich um die Ecke warten auch schon die nächsten Projekte auf die frenetische Tüftel-Autodidaktin, die sich neben Musik auch für Kunst (zur Zeit: Ulyana Gumeniuk), Mode (Ulli Dziallas) und Design (Kim West) interessiert, wie spätestens am luxuriös schönen Artwork ihrer CD abzulesen ist. Sie würde gerne ein HipHop-Projekt produzieren und die Texte dafür in ihrem Wiki (eine für jede/n veränderbare Website) generieren lassen, und ihre "Laptop-Girlgroup" Lappetites, bei der auch Kaffe Mathews und die über 70jährige französische Elektronikpionierin Elaine Radigue im Boot sind, hat schon 5 GB Musik in der Pipeline, die auf eine Veröffentlichung warten. Und vielleicht dürfen wir irgendwann, wenn Antye zufällig eine freie Minute hat, auch noch, nach diversen gemeinsamen Auftritten und Trackkompositionen, auf eine Album-Kooperation mit Partner Luomo hoffen. Aber hey, keinen Stress, denn wie formuliert agf das partnerschaftliche Zusammenwirken so treffend: "Wenn die Zusammenarbeit zwischen uns beiden klappt, ist es großartig, wenn sie scheitert, scheitert sie grauenvoll." | Intro dez 03
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