Die verbesserte Frau
Der rasend spannende Thriller der Spex-Autorin Barbara Kirchner nimmt uns mit zu Frauen (und Männern) zwischen Naturwissenschaft, Liebe und ziemlich blutigen Katastrophen.
(2002.09.09, 12:18)
Am Anfang wirkt Bettina Ritters Leben eigentlich recht normal. Klar, ein bisschen verpfuscht und orientierungslos, Musikstudium abgebrochen, Jobberei in der Mensa und im Nachtcafé, Unklarheit über sexuelle Orientierung und Wünsche überhaupt, aber da ist erst mal nichts, das über Standard-Stress hinausweisen würde. Dass in diesem heißen, gewittrigen Sommer nach und nach junge Frauen unter mysteriösen Umständen aus Bettinas Wohnort, der Großstadt Borbruck, spurlos verschwinden, erscheint da zwar bedauerlich und beunruhigend, aber nicht weiter bemerkenswert: so ist das eben in einer großen Stadt. Obwohl Bettina irgendwie nicht an die allgemein favorisierte Theorie eines Sexualtäters glauben kann...
Als Bettina dann zufällig unter dem Bett ihres superordentlichen, unauffälligen Mitbewohners Johannes Berger (Chemie- und Mathestudi, Sport- und Discofan) einen Haufen Sado-Maso-Pornos samt dazugehörigen Accessoires wie Reitpeitsche findet, ziehen sich die Erzählschlaufen zu. Überall tauchen auf einmal mögliche, unheilverheißende Verbindungen auf, deren Bedeutung Bettina jedoch (noch) nicht knacken kann. Da gibt es die atemberaubend schöne britische Austauschstudentin Catherine Tallow, über deren Intimleben Abfälliges gemunkelt wird und die mit Bettina ein Verwirrspiel aus Annäherung und kalter Schulter treibt. Doch noch mehr gefesselt ist Bettina von der kühlen Wissenschaftlerin Ursula Olim, die "die dünne Lisa" genannt wird und die manchmal in der Unimensa isst, obwohl sie eigentlich im mysteriösen Forschungszentrum auf dem "Guten Weißen Berg" angestellt ist, gegen das die lokale Linke von Borbruck jahrelang Sturm gelaufen ist, ohne zu wissen, woran da drinnen eigentlich gewerkelt wird.
Was Bettina nicht ahnt, ist, dass in den Forschungslabors fiebrig daran gearbeitet wird, eine "verbesserte Frau" zu erfinden. Diese Frau soll durch Operationen, Medikamente und spezielle Therapien zu einem willenlosen Objekt umgepolt werden, das Schmerz und Demütigung nicht nur aushalten kann, sondern als lustvoll empfindet. Doch was weiß die feministisch engagierte, superkluge Dr. Ursula Olim, mit der sich Bettina irgendwann recht stürmisch näher kommt, von diesen geheimen Vorgängen? Und wie steckt der neandertalige Bruder von Mark, dem Freund von Bettinas schwulem Mitbewohner und bestem Kumpel Benjamin, der an den seltsamsten Orten auftaucht, in der Sache mit drin? Und sind der cleane Supersportler Johannes und der schleimige Germanistikstudent, der mit Bettina in der Mensa jobbt, auch irgendwie in die Vorgänge verwickelt?
Auf all diese Fragen gibt der feministische Wissenschaftsthriller der Autorin Barbara Kirchner, die übrigens in theoretischer Chemie promovierte und schon als Spex- und De:Bug-Schreiberin in Erscheinung getreten ist, nach und nach alle Antworten. Allerdings auf die knallharte Tour mit ziemlich viel Blutvergießen und wenig Erbarmen auf jeder Seite - nichts also für zartbesaitete Nerven. Dafür aber extrem spannend, so dass man sich am liebsten im Eiltempo durchs ganze Buch fräsen würde. Abgesehen von den differenzierten Betrachtungen zu Wissenschaftsethik bzw. Menschenversuchen im allgemeinen, Queerness und dem ganz ordinären Gefühls- und Freundschaftshaushalt schafft es Barbara Kirchner, in einem Roman endlich all das zusammenzuziehen, was man nie unter einem Dach für möglich gehalten hätte (und daher noch nicht mal wusste, dass man sich?s wünscht): Alltagserzählungen über Jobs und Uni und die Grauzone dazwischen, Liebesformen außerhalb der heterosexistischen Norm, Frauen und Naturwissenschaft und das immer präsente verflixte Problem der Moral, und als Sahnehäubchen die fein abgestimmten Ingredienzen für einen mordsmäßig spannenden Thriller.
Tja, und wer jetzt glaubt, dass dem Ganzen die Schwarz-Weiß-Schablone von wegen böser Wissenschaft und guten, naturverbundenden Feministinnen übergestülpt würde, kann sich auf einige Überraschungen, oder sagen wir eher, ein mittleres Erdbeben gefasst machen. Denn zwischen der Erzählung und dem good-evil-Schema stehen noch einige differenzierte, essenzielle und berghohe Dinge wie - die große Liebe zum Beispiel. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Ritter am Ende nicht zur furios rächenden Zorro-Inkarnation auflaufen darf - lang ersehnt und großartig. Don?t miss.
Barbara Kirchner: Die verbesserte Frau.
Verbrecher Verlag, Berlin 2001. |
fm4.orf.at juli 01