Die Definition von Rock
Noch Wochen nach dem Interview mit Parole Trixi brummt mir der Kopf. Vor Anstrengung, die Argumentationsstränge im Nachhinein auseinanderzudröseln - und vor Begeisterung.
(2002.09.09, 12:21)
Auch jetzt noch, Wochen nach dem Interview mit Parole Trixi anlässlich der bevorstehenden Veröffentlichung ihres ersten Albums, brummt mir der Kopf. Vor Anstrengung, die enthusiastischen Argumentationsstränge im Nachhinein auseinanderzudröseln, und vor Begeisterung über so viel vehement-laute Musikstreitlust. Das Stimmengewirr auf meiner Minidisc, auf der die drei weiblichen Bandmitglieder aufs Schärfste miteinander diskutieren, um im nächsten Moment in harmonisches Gelächter auszubrechen, sprengt mit Radau die Dezibel-Grenzen des Genres der habituell so freundlichen wie desinteressierten Interview-Plauderei. Als ich genauer hinhöre, stelle ich mit rotem Kopf fest, dass eine der aufgeregten Stimmen in der Diskussion, die den anderen immer wieder erhitzt beinahe ins Wort fällt, meine eigene ist. Diese Band polarisiert.
Ich erinnere mich an meine erste Begegnung mit Parole Trixi vor fast vier Jahren. Nur wenige Monate nach der Bandgründung waren sie als Live Act bei der Präsentations-Tournee des Buches "Lips Tits Hits Power?" dabei. Damals, noch mit Almut Klotz von den Lassie Singers, rockten sie im nicht gerade Club-kompatiblen White Cube-Ambiente des Wiener Depots unverkennbar jung und wackelig und doch so durchdringend, dass meine Freundin und ich hinterher auf die Straße stolperten und jedem Passanten das davor zum ersten Mal gehörte "An die jungen Männer von heute, irgendwann bereut ihr?s!" begeistert an den Kopf schmetterten.
Kurz vor der Veröffentlichung ihres ersten Albums "Die Definition von süß", als ich Sängerin/Gitarristin Sandra Grether, Gitarristin Christine Schulz und Bassistin Cordula Ditz, die für Jule Kruschke in die Band gekommen ist, zum Interview treffe (Schlagzeuger Elmar Günther kann leider nicht), gilt die Parole der Hamburger Band noch immer. Rückblickend ist es wahrscheinlich gleichzeitig Parole Trixis größter Vor- und Nachteil, dass sie mangels adäquaterer Rezeptionsmuster immer die Band waren, die die ziemlich verwaiste Leerstelle "Deutschsprachige Riot Grrrls" mit fetter Bedeutung und geiler Musik ausfüllen sollte. Diese Zuschreibung, die mittlerweile genau wie das nicht mehr gerade zweckmäßige Label selbst ziemlich verblasst und in den Hintergrund getreten ist, wurde sicherlich auch ins Spiel gebracht, weil es Sandra, gemeinsam mit ihrer Schwester Kerstin, war, die Anfang der 90er Jahre in der Spex dem anglo-amerikanischen Phänomen den Weg in die hiesige Medienlandschaft ebnete. Punkige DIY-Attitüde in Songs und Auftreten - wir gehen jetzt einfach mal da raus und gucken, was passiert -, Texte, die das Private politisch und umgekehrt von wütend bis ironisch verhandeln, eine starke Affinität zu Themen und Ausdrucksformen der 3rd Wave, der so genannten Dritten Welle der Frauenbewegung, und der für alle Grrrls so wichtige Vernetzungsgedanke, taten ein übriges für die Katalogisierung.
Mittlerweile wird die Band, die sich - wie wohl die meisten anderen auch - am liebsten allen einschränkenden Kategorisierungen entziehen würde, eher als Teil der Hamburger Szene (nein, ich schreibe das Wort nicht) wahrgenommen und sagt von sich schlicht: Wir machen Rock. Rock? Dieses Ding mit den 4 Buchstaben, die nach Männerschweiß riechen und nach beklemmenden Zwangsumarmungen? No need to ausdifferenzieren und Klischeebrechen hier?
Sandra: Unsere Lieder selbst sind ja ausdifferenziert. Ich finde, man kann den Begriff "Rock" für sich selbst als was Geiles besetzen. Es geht ja gerade darum, der maskulinen Kultur zu demonstrieren, dass ihre Posen auch von Frauen eingenommen werden können, und das wird ja auch schon lange gemacht, das ist ja nichts Neues.
Christine: Das vermittelt jetzt auch irgendwie ein falsches Bild, denn so klingt es, als hätten wir uns extra eine Nische gesucht, die wir besetzen wollen, und da wäre die Frage berechtigt, ob wir diese Posen brechen oder nur gekonnt imitieren wollen. So war es aber natürlich gar nicht, ich z.B. wollte einfach Gitarre spielen! Denn man sollte ja nie vergessen, dass uns das Musikmachen auch einfach Spaß macht. Die Musik, die dann dabei rauskam, war mir nicht von vornherein klar, denn die hängt zu einem Großteil ja auch von den Leuten ab, mit denen man zusammenspielt.
Parole Trixi kommen mir auf Platte weicher und tatsächlich irgendwie differenzierter als bei ihren Live-Auftritten vor, an denen ich immer die 1234-nach vorne-Qualität geschätzt hatte. Mit dieser Kurzsichtigkeit bin ich offensichtlich nicht alleine, denn die Band erzählt mir, dass vielen beim Besuch im Studio oder Proberaum erst mal der Mund ob der unerwarteten musikalischen Vielschichtigkeit der Songs aufgeklappt sei, die live immer ein bisschen vom Energiesog eingebreit wird. Zum breit aufgefächerten, stellenweise heftig gitarrenpoppigen Soundbild von "Die Definition von süß" hat sicherlich die Aufnahme und Produktion durch Bernadette Hengst und Peta Devlin, beide ex-Die Braut haut ins Auge, beigetragen. "Und wenn Bernadette sowieso schon die ganze Zeit mit uns im Studio war, war es auch ganz klar, dass sie zu manchen Stücken auch einfach noch ein paar Takte Orgel gespielt hat", erklärt Sandra den lieblichen Orgelsound auf "Hier im Jetzt". Auf dem Stolz und Vorurteil-Sampler hieß das Lied noch "Punk Rock", aber wegen dessen schon seit Jahren munter dahingaloppierendem Totalausverkauf durch klinisch tote, cleane Jungsbands wie die unsäglichen Blink 182, und natürlich in Hommage an die Fehlfarben, wurde es für die LP umbenannt.
Aber nicht nur der Ausverkauf von Punk stößt der Band sauer auf. Nachdem ich vorsichtig auf das Abflauen des Medieninteresses an der Hamburger Schule (jetzt habe ich es doch geschrieben) zu sprechen gekommen bin, das sie einerseits nicht so wahrnehmen (es seien doch viele gute Platten in Hamburg rausgekommen) und andererseits froh sind, nicht zu Hype-Hochzeiten in einem solchen Pressesüppchen aufgekocht zu werden (dass Dirk von Lowtzow und Pascal Fuhlbrügge bei der Platte mitgemischt haben, erfahre ich nur bescheiden en passant), kommen wir auf die vermeintliche Krise des Rock in der Diskursmaschine zu sprechen. Empörte Aufschreie, hitzige Diskussion. Ich ziehe schnell meine Hand aus den Nesseln, freue mich dann aber doch sehr darüber, dass eine Band so leidenschaftlich Musik lebt, dass eine unklare Formulierung einen solchen Sturm der Entrüstung auslösen kann.
Sandra: Ich glaube nicht, dass sich Rock im Moment in dem Sinn in der Krise befindet, dass sich niemand dafür interessieren würde, ganz im Gegenteil: Zur Zeit wird Rock doch total ausverkauft, viel schlimmer noch als vor fünf Jahren. Ich finde es interessant zu schauen, wie der Ausverkauf funktioniert, und trotzdem einen eigenen Ausdruck innerhalb von Rock zu finden.
Christine: Die Gefahr ist doch viel eher, dass Rock einfach eingefroren wird und dass es in 100 Jahren noch genau so weitergeht wie heute - das sehe ich als die eigentliche Krise.
Cordula: Ich glaube auch, dass es gerade in letzter Zeit eine massive Rückbewegung zum Rock gegeben hat, nachdem Teenager wohl eine Weile lang dachten, Gitarre und Bass gibt es nur noch im Hard Rock und Country.
Sandra: Ich sehe es eher so, dass Rock ein total massenkompatibles Genre geworden ist. Mich nerven so hochproduzierte langweilige Pearl Jam-Coverbands, die es auch in Deutschland zuhauf gibt. Dem muss man unbedingt etwas entgegenhalten. Man merkt ja auch, dass nach Bands wie den Strokes und den White Stripes ein totales Bedürfnis besteht.
Ich glaube ehrlich gesagt, dass es schon seit Anfang an immer hieß, Rock ist tot, aber es wird eben immer Leute geben, die das Bedürfnis haben, sich auf diese Weise auszudrücken, und es wird ebenso immer Leute geben, die genau das hören wollen. Ich glaube, es ist immer wieder eine Herausforderung für jede einzelne Band, aus dem Genre was Eigenes und Neues zu machen.
Habt ihr euch deswegen für Rock als Kommunikationsform entschieden, weil es der unmittelbarste Weg ist, sich auch emotional auszudrücken?
Sandra: Auf jeden Fall.
Christine: Peta hatte im Studio immer den schönen Ausdruck, es menschelt, wenn der Takt nicht so ganz tight war, oder wenn man halt merkte, dass Menschen und nicht Maschinen im Spiel waren. Und ich finde, das ist genau der Reiz an Rock.
Cordula: Es ist eben emotional direkter als ein Computer, man hat mehr Möglichkeiten für direkten Einfluss.
Um das Gespräch langsam auf das nächste Fragentreppchen zu heben, merke ich an, dass Musik und Texte von Parole Trixi sich nicht im Umsetzen von Gefühlslagen erschöpften, sondern auch explizit politisch agierten. Alle stimmen mir so typisch höflich und ein bisschen geistesabwesend zu, bis es neben mir einen Ruck macht und Sandra sagt: Moment mal. Von wegen
nur Gefühlslagen umsetzen. Es gab ja auch mal diese Diskussion, oh je, Authentizismus, das ist was Reaktionäres, und genau das finde ich wiederum reaktionär. Es ist doch immer wieder, für jeden Menschen, der Musik macht, eine Aufgabe, sich seiner eigenen Emotionalität zu stellen, sich da rein zu begeben und dieses komplexe Wirrwarr so auszudrücken, dass andere Leute was damit anfangen können. Das ist in meinen Augen eine totale Herausforderung, und das finde ich auch das Geile an Rockmusik, dass sie das ermöglicht. Ich kann das auch nicht so trennen, hier ist es politisch und hier privat, das geht einfach immer Hand in Hand. Ich versuche eben nicht, einen Text zu schreiben über was, was mir nur einmal passiert ist, sondern ich versuche, irgendwelche Erlebnisse oder Traumata oder gesellschaftliche Verhältnisse zusammenzufassen und in einem Lied auf den Punkt zu bringen, auch wenn es dort dann "du" heißt.
Ich denke wieder an Parole Trixis Bandinfo, in der sie schreiben, "dass weibliche Subjektivität auch nicht subjektiver ist als männliche Subjektivität" und dass ich noch nie etwas gelesen habe, das so wahr und wichtig und doch lustig war, und dass ich die Band für dieses Zitat am liebsten küssen möchte. Es erscheint mir in diesem Zusammenhang auch nur logisch, dass Parole sich im großen deutschen Musikpanorama letztendlich doch auf Ton Steine Scherben einigen können (obwohl Christine bei den gegniedelten Gitarrensoli Schweißausbrüche kriegt), da Schlichtheit, Direktheit und einfachste Poetik ebenso unpeinlich wie bei den Altvätern auch bei ihnen regieren. Bloß ist da noch mehr Witz und Ironie, auch im bittersten Moment: "Vor ein paar Jahren haben wir noch gedacht, arm ist schick, weil Not so erfinderisch macht."
Und dann am Ende, als alles läuft wie geschmiert, muss ich doch noch die Frage stellen, die eigentlich schon implizit durch jedes Statement beantwortet wurde und die ganz sicher gerade eine Band wie Parole Trixi höllenmäßig nervt, aber es hilft nichts - das F-Wort muss raus.
Sandra: Ja, ich sehe uns als explizit politische und auch explizit feministische Band. Es ist natürlich immer ein Problem, wenn man das sagt, weil die Leute einen dann primär als feministisch rezipieren und der musikalische Ausdruck sofort in den Hintergrund tritt. Das finde ich sehr schade, und ich glaube, das hält auch viele davon ab, sich als explizit feministisch zu beschreiben. Bis zu einem gewissen Punkt kann ich das verstehen, weil das auch sehr viel Arbeit vernichtet, die man in die Musik gesteckt hat, aber ich finde es sehr traurig, dass offensichtlich noch nicht beides selbstverständlich nebeneinander existieren kann.
Auch für Drummer Elmar, per E-Mail-Konferenz hinzugezogen, geht dieses Selbstverständnis okay, und zwar insofern, dass er feministische Haltungen versteht und unterstützt, aber nicht als der "männliche Feminist" hausieren gehen will, da gerade eine solche Position gerne in Bevormundung und Entmündigung umkippt. Das Ideal quasi.<
Bleibt also zu hoffen, dass dieses Angebot, als das Sandra die Platte statt fruchtloser Endlosdiskussionen zum Thema versteht, auch und vor allem von jenen Mädchen und Frauen wahrgenommen wird, für die Parole durchaus Role Models sein möchten: "Es ist doch lächerlich, über Starkult zu jammern, wenn man eigentlich total froh ist, dass sich jemand wegen uns eine Gitarre kauft!" |
intro märz 02