Small Gift, Big Smile
Sweetness und Katzenpower: Wie die rein affektive und ungetrübte Freude über Hello Kitty den Werturteilen der patriarchalen Gesellschaft eine lange Nase dreht.
(2004.01.26, 17:31)
Von Tokio aus im Siegeszug um die ganze Welt. Die kleine Katze ohne Mund ist angetreten, unsere Herzen und Geldbeutel zu erobern, und hat gewonnen. "Was soll das, und vor allem hier?" dröhnt es, vorausschauend, in meinem Hinterkopf, als ich nachdenkend auf meinem Hello Kitty-Kugelschreiber kaue und am Hello Kitty-Aufkleber auf meinem Notizbuch herumpule. Denn die Geschichte von Hello Kitty aufzurollen bedeutet natürlich, immer einen ganz persönlichen Trip in eine private Beziehung aus Verzückung, unreflektierter Emotion und Vorbehalten, aber das gilt eben nicht nur für die eine, die hier darüber brütet, sondern für viele. Und stellt damit so was wie ein öffentlich gelebtes Liebesverhältnis dar. Denn neben der milliardenschweren Marke, als die Hello Kitty mittlerweile in den internationalen Bilanzierungsbüchern figuret, ist die süße Katze auch zu so etwas wie einem zurückhaltenden und doch sichtbaren Symbol für eine ganze Generation junger Frauen avanciert.
1974 wurde die minimalistisch gezeichnete japanische Katze in Tokio auf einer Vinylgeldbörse erstmals auf den Markt gebracht, nachdem die herstellende Firma
Sanrio schon seit mehr als einem Jahrzehnt Grußkärtchen und andere kleine Geschenke hergestellt hatte. Das Firmenmotto, auf das man sich auch heute noch konstant beruft, sei die Idee gewesen, dass ein kleines Geschenk ein großes Lächeln hervorrufen kann.1976 expandierte man in die USA und erwarb das internationale Copyright für Hello Kitty, die bis heute das berühmteste Aushängeschild der multinationalen Corporation ist. Neben dem Kätzchen gibt es jedoch auch zahlreiche ebenso auf Schnuckeligkeit abzielende Charaktere wie den kleinen Hasen My Melody, den rotzigen Pinguin-Rocker Badtz Maru oder den sportlichen Hund Pochacco, deren Patchwork-Familie ständig erweitert wird - insgesamt hat Sanrio schon mehr als 400 solcher Charaktere entworfen. Gemeinsam ist diesen Fantasie-Persönchen, dass sie alle Teil einer einzigartigen und offensichtlich sehr erfolgreichen "Retail first"-Strategie sind, die nicht wie z.B. Walt Disney Geschichten mit Charakteren kreiert und dazu dann passende Merchandise-Objekte liefert, sondern das Produkt selbst in den Mittelpunkt stellt. Das erlaube den Kindern, ihre eigenen Geschichten und Gefühle in die Tierchen zu projizieren, womit man unglaublich gut fahre, so Bill Hensley, Sanrios Marketing-Chef für die westliche Hemisphäre.
Aus dem Herzen sprechen
Über den Erfolg, den die japanischen, zum Großteil deutlich Manga-beeinflussten Figuren im westlichen Ausland genießen - neben alten Sanrio-Bastionen wie den USA und Europa werden gerade Süd- und Mittelamerika im Sturm genommen - zeigt sich Bill Hensley nicht im geringsten erstaunt. Die puristisch-japanische Design-Ästhetik sei zwar "clearly part of our heritage", doch der Appeal von Hello Kitty, die dank ihrer (vielbeklagten) Mundlosigkeit keine internationalen Verständigungsprobleme habe, sei universal: "She speaks from the heart."
Hello Kitty White
Interessant ist dabei jedoch, dass die in Japan entworfene Kitty eigentlich eine Westlerin ist, denn sie wurde laut Stammbuch am 1. November (1976) in London geboren, wiegt so viel wie drei Äpfel und heißt mit Nachnamen, wie im Frühjahr 2001 zum ersten Mal im offiziellen Sanrio-Fanmagazin bekannt gegeben wurde, White. Pretty Western, huh? "Hello Kitty is Western, so she will sell in Japan. She is Japanese, so she will sell in the West" schreibt Douglas McGray in seinem Essay "Japan's Gross National Cool", in dem er der neuen popkulturellen Faszination des Westens für Japan nachgeht, die langsam das Paradigma der West- bzw. Amerika-besessenen JapanerInnen komplementiert. Anfangs sei es schwierig gewesen, den westlichen und östlichen Markt gleichermaßen zu befriedigen, erzählt die langjährige Hello Kitty-Designerin Yuko Yamaguchi dem Journalisten McGray, denn oft habe sie zwei Katzenversionen entwerfen müssen, da gewisse Farben und Motive in den USA tabu gewesen seien: pink und lila liefen super in Amerika, blau, gelb und rot gingen gar nicht, und auch eine mit Kitty befreundete Schnecke musste für die Amis aus dem Bild getilgt werden.
Sammelleidenschaft und Schlägereien
Jetzt gibt es nur noch eine Katze für alle, diese allerdings in beinahe endlosen Versionen. Jeden Monat dürfen Kitty-Fans in den zahllosen weltweit verstreuten Shops und bei Franchise-Partnern rund 400 neue Produkte und Linien bestaunen, die immer nur für kurze Zeit produziert und dann wieder aus dem Programm genommen werden. Kitty als Engelchen, als Geisha, als Braut, als Französin und sogar als Rockmusikerin - immer neue Variationen des Charakters werden erdacht, wobei ganz clever auch die Sammelleidenschaft der KonsumentInnen ordentlich angeheizt wird. So müsste man mittlerweile beispielsweise 38,460$ für eine diamantenverzierte Kitty-Armbanduhr, hergestellt vom österreichischen Juwelier Swarovski, auf den Tisch legen, oder 2,300$ für eine limitierte Edition von in Deutschland produzierten Plüschkatzen, die anlässlich des 25. Geburtstags in Auftrag gegeben worden waren. Als im Jahr 2000 McDonald's in Singapur in einer Sonderaktion verschiedene Hello Kitty- und Dear Daniel-Figuren (ihr Boyfriend) ihren Special Meals beilegte, kam es zu endlosen Schlangen und sogar zu Schlägereien zwischen verzweifelten Fans, die unbedingt eins der Plastikfigürchen ergattern wollten - dabei wurden angeblich von McDonald's an die 3 Millionen Stück regulär verkauft.
Produktflut mit Aussetzern
Niemand kann eine exakte Zahl nennen, wieviele verschiedene Hello Kitty-Waren derzeit in Umlauf sind, denn Sanrio stellt unzählige "Licensing Agreements" an andere Firmen aus. Die Schätzungen schwanken zwischen 12000 und 15000 - was übrigens einen weltweiten Jahresumsatz von ca. einer Milliarde Dollar generiert. Dabei wurde auch nicht das kleinste Bedürfnis vergessen, das KundInnen heutzutage verspüren könnten - wer will, könnte sich das komplette Eigenheim Kitty-isch einrichten. Eigentlich fehlt nur noch das Hello-Kitty-Fertighaus mit pinkfarbenem Swimming Pool in Katzenkopfform. Bis dieses entworfen ist, können sich AnhängerInnen jedoch mit aparten Klorollenhaltern, kompletten Geschirrlinien, T-Shirts, Pantoffeln, Bademänteln, Reisetaschen, Fernsehern, Mobiltelefonen, diversesten Schreib-, Schmink- und Körperpflegeutensilien und natürlich Plüschtierchen vergnügen. Sogar einen Hello Kitty-Computer gab es schon, ebenso wie ein Yamaha-Motorrad und einen Daihatsu Jeep mit der kessen Katze. Doch in dieser Flut von Produkten gibt es immer wieder auch Artikel, die nicht so Recht zum cuten, harmlosen Image der Figur passen wollen: Ein T-Shirt für die Youth Aids Foundation, auf dem Kitty für mehr Consiousness wirbt, freut unsereins und macht humanitär für das Unternehmens-Image Sinn, aber ein Vibrator? Und eine Knarre??
Problemzone Vibrator
Im Interview verwehrt sich Bill Hensley heftig gegen die Verwendung seiner Trademark für einen Revolver (den ich übrigens im Internet gefunden habe) und beteuert, dass die anbietenden Personen in keinster Weise mit Sanrio in Verbindung stünden. Beim Vibrator hingegen ist die Lage schon etwas anders, da windet sich der Marketingdirektor und muss zugeben, dass es sich hierbei um ein waschechtes und autorisiertes Sanrio-Produkt handelt, das er aber am liebsten auf den Mond schießen würde, wie es scheint. Der putzige Massagestab wurde ursprünglich in Japan nur unter der Prämisse lizenziert, dass dieses Ding nie außerhalb Japans verkauft werden dürfe, doch nachdem die Lizenz ausgelaufen war, tauchten die Vibratoren plötzlich überall auf der Welt auf. Joyce Solano vom legendären San Franciscoer Sex Shop "Good Vibrations" berichtet, dass dieses Modell unglaublich populär sei und eine regelrechte Fangemeinde habe. "I think it's a combination of the Hello Kitty image being so well known and the fact that this particular piece is so discreet that's making it so popular", so Solana. Kicher.
Mariah, Christina, Brandy, Gwen, Drew...
Damit wird aber vor allem auch eines deutlich, was in der offiziellen, sehr auf Kindergerechtheit bedachten Diktion meistens ausgespart wird: Neben den Kids, die auf die flashig bunten Kindchenschemareize abfahren und für die die Produkte offiziell produziert werden, gibt es eine immer wichtiger werdende Kundschaft für Hello Kitty-Objekte, die sich mit den Artikeln auf einer ganz anderen Ebene identifiziert: die jungen Frauen, von denen ich in meiner Einleitung sprach, die eben auch ganz andere Bedürfnisse haben als der offizielle Kitty-Fan zwischen 3 und 15. Bei Sanrio erkennt man zwar auch, dass die Nachfrage aus dem Segment der über 20jährigen steigt, doch führt man dies darauf zurück, dass diese Frauen mit Hello Kitty aufgewachsen seien und diese Liebe nun ins Erwachsenenalter rüberretten wollten. Es gibt viele erwachsene Stars, die öffentlich ihre Liebe zu Hello Kitty zelebrieren: Mariah Carey mit ihrer Kitty-Boombox, Lisa Loeb, die ihre letzte CD sogar "Hello Lisa" nannte und ganz ins Zeichen der Katze stellte, Christina Aguilera mit Schmuck, Gwen Stefani, Drew Barrymore, Brandy etc. mit verschiedensten Artikeln, sogar die Trendforscherin Faith Popcorn gibt eine gewisse Kitty-Fixierung zu. Daneben tummeln sich im Osten wie im Westen der Welt Millionen von Frauen, die sich als Corporate Women ihren grauen Business-Alltag mit Hello Kitty-Filofaxes verschönern oder als Riot Grrrls Hello Kitty-Haarspangen im wildgefärbten Haar tragen und damit deutlich mehr als nur eine paar nostalgisch-schöne Kindheitserinnerungen aufwärmen.
Kittymania
Von einer neuen Bewegung will hier natürlich niemand sprechen, zu deutlich steht der Warencharakter der Katze, die nie etwas anderes sein wollte als Produkt, im Vordergrund, viel zu lange beherrscht Kitty schon die Herzen und Regale der jungen und älteren Mädchen, und viel zu diversifiziert sind die Katzen-AnhängerInnen rund um den Globus. Vergesst also den nächsten Coup der Revolution Grrrl Style now, die wird auf einer anderen Ebene ausgetragen, wir sind ja nicht blöde. Doch das Faszinierende an der still und stetig um sich greifenden Kittymania ist vielmehr, dass in der Begeisterung für diese Figur zum ersten Mal eine ungeteilte, rein affektive und ungetrübte Freude über eine ganz klar für Mädchen gemachte, als femininer "Kitsch" konzipierte Figur in einer kollektiven Begeisterung kulminiert, die sich nicht von Werturteilen einer patriarchalen Gesellschaft sanktionieren lässt. "And if feminism aims to create a world where our standard of measurement doesn't start with a white-male heterosexual nucleus, then believing that feminine things are weak means that we're believing our own bad press", schreibt Lisa Silver in ihrer Eloge auf Girlyness. Sicherlich ist den Kitty-Freundinnen mehr als klar, dass sie mit dem Kätzchen eine Ware und keine Gesinnung (welche auch?) erstehen - nicht umsonst beschrieb die
Jungle World Hello Kitty einmal als "niedlichstes Antlitz des Kapitalismus" - doch zum ersten Mal passiert hier öffentlich auf breiter Basis eine ganz selbstbewusste, fröhliche Revalorisierung des feminin Kodierten, das so gerne Spott und Verachtung ausgesetzt wird.
Negativmerkmal Frau
Gibt's nicht mehr, diese Geringschätzung? Nur ein Beispiel: Mit Gruseln erinnere ich mich an eine
intro-Forumsdiskussion, in der darüber debattiert wurde, ob das tolle letzte Buch Karen Duves, über dessen Qualität sich alle einig waren, "Frauenliteratur" sei. Dies wurde entsetzt verneint, als sei das Epithet Frau hier Marker alles Verachtungswürdigen und Minderqualitativen. Abgesehen davon, dass eine Kategorisierung von Büchern nach Geschlecht genauso schwachsinnig ist wie bei Musik (der alte Heuler "Frauenmusik" wird ja auch ab und an noch ganz gerne ins Spiel geworfen), zeigt dieses Beispiel doch ganz gut, wie - verstärkt natürlich durch eine idiotische Medienpräsenz - die auf Frauen abzielende weichgespülte Boulevardliteratur unter dem Label "Frauenbücher" vermarktet, die Kategorie Frau als Negativmerkmal funktioniert. Verständlich ist dabei, dass man weg will von den klischeehaft weiblichen Zuschreibungen, die Frauen in stereotyp feminine Rollen drängen und sie darauf reduzieren. Was ja auch der Ansatz des Second Wave-Feminismus der 70er Jahre war, der Frauen von dieser "Feminine Mystique" befreien wollte und sie aus dem Gefängnis sexistischer Geschlechtsbeschränkungen rausholen wollte.
Hello Kitty Feminism
Auch wenn wir heute natürlich noch lange nicht da angekommen sind und Sexismus immer noch very much in the house ist, gibt es doch von der nachfolgenden feministischen Generation, den so genannten Third Wavers, in deren Reihen sich auch viele (Ex-)Riot Grrrls befinden und die lustigerweise von manchen auch "Hello Kitty Feminists" genannt werden, diesbezüglich einen erfrischend neuen Ansatz. Dieses tief verwurzelte Wertungssystem wird zumindest ansatzweise umgestülpt und es wird hinterfragt, warum als weiblich codierte Beschäftigungen und Vorlieben in unserer Gesellschaft als wertlos und lachhaft gelten (pink, niedlich, Püppchen etc.), während "Jungshobbies" auch im Erwachsenenalter legitim sind (tough, kompetitiv, Rennautos). Dabei geht es natürlich nicht darum, ob Jungs oder Mädchen nun tatsächlich mit Puppen und Rennautos spielen, sondern rein um die soziale Zuschreibung zu einem bestimmten Geschlecht, das ja noch dazu gesellschaftlich konstruiert ist. So meint z.B. Cordula Ditz von der Band Parole Trixi, die auch zu den Kitty-Fans zählt: "Mädchen sollen ja immer so schnell erwachsen und vernünftig werden. Hello Kitty erlaubt Frauen, verspielt zu sein. Dass erwachsene Frauen spielen, ist ja viel weniger akzeptiert und verbreitet als der Mann mit seiner Märklin-Eisenbahn." Jennifer Baumgardner und Amy Richards schreiben in "Manifesta", ihrem Buch über Third Wave Activism, über diese Reappropriierung des Femininen: "Girlies say, through actions and attitudes, that you don't have to make the feminine powerful by making it masculine or 'natural'; it is a feminist statement to proudly claim things that are feminine, and the alternative can mean to deny what we are. [...] Girlies' motivations are along the lines of gay men in Chelsea calling each other 'queer' or black men and women using the term 'nigga'."
Niedlichkeit rulet
Genau diese Herstellung von Gemeinschaftsbezügen leistet auch die kollektive Begeisterung für Hello Kitty, die nicht als peinliches Laster verschämt versteckt, sondern mittlerweile begeistert kultiviert wird. So hat man oft sogar das vage Gefühl, zu einer globalen Community zu gehören, die ein geheimes Einverständnis darüber teilt, dass diese Niedlichkeit ohne Einschränkung rulet. Wenn man andere Frauen erblickt, die auch Hello Kitty-Artikel sporten, stellt sich da irgendwie so ein Gefühl von Verbundenheit und Zusammengehörigkeit ein, das über die Sichtbarmachung von diesen Symbolen und den damit einhergehenden Konsens, dass das so völlig okay ist, generiert wird.
Sicherlich bietet Hello Kitty keine politische Plattform - das wäre ohne Mund auch etwas schwierig - und die Figur an sich leistet genau so wenig wie das "zigazig-ha" der Spice Girls damals einen konkreten Anstoß zur Subversion des dominanten patriarchalen Paradigmas, sondern die Katze ist vielmehr, das gebe auch ich als Fan freimütig zu, ein Beweis für die fortschreitende Infantilisierung der Gesellschaft. Aber genau hier sehe ich noch mehr Potenzial von Hello Kitty, denn spätestens seit einem Artikel in der New York Times im Jahr '91 über die Ergebnisse einer Studie der Psychologin Carol Gilligan ist bewiesen, was wir eh schon lange wussten: dass nämlich das Selbstbewusstsein junger Mädchen, in viel stärkerem Ausmaß als das der Jungs, auf dem Weg in die Pubertät bzw. ins "Frausein" dramatisch in den Keller runterrasselt und dann nie mehr so zurückkommt, wie es in rosigen Präteen-Zeiten mal war. In diesem Zusammenhang kann so eine Rückversetzung in Vorkrisenzeiten, die frei waren von medieninduziertem Weiblichkeitsballast, durchaus auch ein "Empowerment" bewirken. Und das nicht nur für die Mädchen, wie am Ende noch mal angemerkt werden soll, denn erstens sollen Jungs ebenso wie wir von Genderstereotypen befreit werden, und zweitens gibt es ja auch genug Typen, die die Katze genauso lieben wie wir. Vielleicht sind sie ja noch nicht so ganz bereit es zu zeigen, but you are very welcome in our club. |
intro feb 03