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Grüße aus dem Girl-Imperium
 
Was soll ein Mädchen eigentlich lesen, das sich nicht ausschließlich für Anti-Pickel-Tipps, Star-Style-Secrets und Boytalk interessiert? Ich würde vorschlagen: give gurl.com a try.
(2002.09.13, 22:41)

Wenn man sich umsieht und überprüft, was die deutschsprachige Medienlandschaft für junge Mädchen so zu bieten hat, kann einem ziemlich flau im Magen werden. Der Markt wird zwar überschwemmt mit immer neuen Produkten, die direkt an Teengirls und deren spezielle Nöte gerichtet sind, doch die meisten verbraten nur die immer gleichen Themen wie "Hilfe, schon wieder ein Pickel!" bis hin zum Doppelmoral-verdächtigen "Wollen Jungs wirklich immer nur das eine?" Zwar gibt es einige Magazine, die sich um Seriosität und fortschrittlichere Rollenbilder bemühen und sogar durchaus ansprechende Musik- und Buchtipps geben (wie z.B. die nett-solide Brigitte Young Miss), aber trotz allem bleibt auch hier die Oberfläche meistens glatt: dünne, hübsche Models, Kosmetiktipps, die geschickt mit den Werbeanzeigen der entsprechenden Beautykonzerne gekoppelt sind, kein Platz für Überraschungen.

Natürlich gibt es noch immer rotzige Fanzines von Mädchen für Mädchen (ich hoffe es zumindest, ich selbst kenne aber nicht wirklich viele), aber da stellt sich wieder einmal das Problem der Erreichbarkeit bzw. der Distribution: Hochglanzmagazinge wie Sugar und 16 sind in den meisten Trafiken erhätlich, aber wie soll die kleine Gerli aus Hintertupfing an das coole Grrrl-Zine von Susi aus Kleinoberhof kommen, das sie vermutlich selbst kopiert, heftet und verkauft, oder überhaupt von seiner Existenz erfahren? Außerdem kann man auch nicht von allen Mädchen erwarten, dass sie sich für die oft sehr speziellen Universen von Fanzines interessieren.

In Multimediazeiten sollte das Internet da eigentlich Abhilfe schaffen, aber auch hier überwiegt natürlich - was Wunder - die Kommerzialität. Letztes Beispiel, das ich mir (nach einem Artikel im Wiener gratis U-Express, nicht die beste Visitenkarte, ich weiß) angesehen habe, ist ein neues österreichisches Portal für junge Mädels mit dem schönen Namen www.girlies.at, und allem Anschein nach wirtschaftlich mit der Kronenzeitung verbandelt. Manch einer wird enttäuscht sein, hier nicht die üblichen (halb)nackerten Krone-Girlies zu finden; ich war es aus anderen Gründen: wieder nur der immer gleiche Boygroup-Quatsch, Partnersuche (für Teenies!!) und ein Link zu Nike.

Aber wie bei so vielem ist uns hier Amerika mal wieder um Armlängen voraus und bietet Dinge, die ich nur zu gerne auch bei uns sehen würde - wie die Webpage gurl.com, die von drei New Yorkerinnen Ende zwanzig als Projekt für eine Uniklasse gelauncht wurde und jetzt ein eigenständiges Webmagazin ist. gurl.com bietet für Mädchen jeder Couleur interessante Features über Musik, Film, Bücher etc und ist dabei populär, ohne Einheitsfutter zu bieten. Die klassischen Körper- und Sexthemen aus Mädchenzeitschriften werden durch witzige persönliche Erzählungen über subjetkive Körpererfahrungen (das Leben mit asymmetrischen oder zu sehr hüpfenden Brüsten, z.B) und durch praktische Hinweise zu Oralsex, Verhütung, Schwangerschaft etc. ohne erhobenen Zeigefinger ersetzt. Daneben gibt es Artikel zu "important dead women", Musik zum Downloaden (u.a. auch einen Track von Couch aus Deutschland!), Tipps von female DJs, Comics und Videos von anderen Gurls mit der Aufforderung zur eigenen Beteiligung, und eine Sportabteilung (gerade letztens musste ich auf einer Diskussion wieder hören, Mädchen interessierten sich nicht für Sport - so ein Unsinn), in der es einen von der Starfussballerin Mia Hamm signierten Fussball zu gewinnen gibt! (Yesss!)

Was den Reiz der Site neben der hübschen Gestaltung in poppiger Comicästhetik weiter erhöht, ist die Möglichkeit zur Interaktion. Neben Chat, Message Boards, Polls und Advice Columns werden die Userinnen ständig nach ihrer Meinung oder neuen Vorschlägen zu Themenfeldern gefragt und dazu aufgefordert, selbst aktiv zu werden. Gar nicht mehr weggekommen bin ich aber aus der "Paperdoll Psychology", wo man süß gezeichnete Figuren anziehen oder sich ein Zimmer einrichten kann etc. und daraufhin die (nicht ganz ernst gemeinte) psychologische Analyse der eigenen Wahl präsentiert bekommt.

Absoluter Brüller: Make your own boy band! Aus 16 stereotypen Boy-Charakteren, die alle eine ziemlich überzeichnete Biographie haben, darf man sich 4 aussuchen, ihnen einen Namen verpassen und einen Song mitkomponieren. Großartiges Amusement.

Auf Gurl.com gibt es keine Werbung, aber irgendwoher müssen die Frauen, die diese Seite mittlerweile hauptberuflich führen, ihre Kröten ja bekommen. Wenn ich richtig informiert bin, wurde die Site letztlich an Delia's verkauft, "the pre-pubescent trendy mail-order clothing company, mainly for trendy suburban teenage girls", wie kritische Stimmen das expandierende Firmenimperium nennen. Nun, gurl.com hat nie den Anspruch einer antikommerziellen Underground-Page erhoben, aber ich hoffe trotzdem, dass sie einen guten Vertrag ausgehandelt haben und nicht in Zukunft Glitzernagellack und aufblasbare Sofas von Delia's bewerben müssen. Bis jetzt sieht es jedenfalls überhaupt nicht danach aus...

Ach ja, und wenn ihr jetzt denkt, ich bin als Endzwanzigerin doch gar nicht mehr Teil der Zielgruppe: täuscht euch mal nicht! So langsam bekomme ich das Gefühl, dass solche coolen Girl-Dinge speziell für uns gemacht sind, weil wir ohne die quälende Gruppenzwangs-Verkrampftheit der Teenager endlich das genießen können, was wirklich Spaß macht! Oder wie seht ihr das? | fm4.orf.at mai 01
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