Das Jahr des Luders
Nein, kein vom Aussterben bedrohtes Tier, sondern eine Bezeichnung für weibliche Wesen, die es bald in jeder denkbaren Kategorie zu bestaunen gab. Zeit für eine kritische Betrachtung.
(2002.09.16, 11:24)
Luder-Leben?
Angefangen hat wohl alles mit dem von der Bild- Zeitung ins Leben gerufenen Terminus Boxen- Luder für sexy-freizügig gestylte Frauen, die groupie-like im Dunstkreis von Rennfahrern rumhängen. Nachdem der Begriff einmal unter's Volk gebracht war, wurde er inflationär und in endlosen Variationen ausgeschlachtet - vom Teppich- über's TV- bis zum Luxusluder und was weiß ich nicht für Varianten. Bild und Bunte freuten sich über leicht zu füllende Seiten, auf denen unter dämlichen Überschriften wie "Deutschland, Deine Luder!" ausführliche Charakterisierungen der verschiedenen Ludertypen zu begaffen, äh, zu lesen waren.
Mir doch egal, was sich die Yellow Press wieder für einen künstlichen Trash-Hype verschafft, dachte ich zunächst bei einer meiner Bunte/Gala/Goldenes Blatt-Sessions im Kaffeehaus (ich habe kein Kabelfernsehen!), als mir von beinahe jeder Hochglanzseite die Cleavage eines neuen Luders entgegengähnte. So sind wohl auch die meisten Reaktionen aus meinem Umfeld amüsiert oder indifferent, aber mir ist dieser komische Begriff dann doch ziemlich schnell sauer aufgestoßen, denn die Boulevardebene ist bekanntlich immer ein ganz guter Indikator für breiteste gesellschaftliche Prozesse.
Schon dieser idiotische Begriff: ein Luder ist laut Wörterbuch ein "leichtfertiges, gewissenloses, durchtriebenes Weib", das in der allgemeinen Vorstellung eine äußerst lose Moral hat und mit seinem Sex-Appeal lockt, um ans Ziel zu kommen. Die von den Revolverblättchen und entsprechenden TV-Nachmittagsshows als Luder gekürten Persönlichkeiten zeichnen sich denn auch alle dadurch aus, dass sie nur über ihren Körper und die sexy Zurschaustellung desselben wahrgenommen werden und eigentlich nur für ihr Äußeres und ihr Luder-Sein bzw. ihre penetrante mediale Selbstdarstellung rezipiert werden. Von mir aus können Jenny Elvers, Ariane Sommer, Naddel und Co. ja so wenig anziehen, wie sie möchten, aber ich finde es traurig, dass offensive Sexiness als Selbstzweck auch jetzt noch der einfachste Weg ist, als Frau Aufmerksamkeit zu erregen, anstatt für Skills oder Statements berühmt zu werden.
Auch dass dieses Luder-tum sich per se meistens über die Präsenz eines wichtigen Mannes definiert, den frau um den Finger wickeln oder abzocken möchte (wir erinnern uns an die Tränendrüsen- Posse um Naddel und Schlagerkönig Siegel, den sie angeblich ganz fies mit einem SMS abservierte), nervt mich. Nicht umsonst führt wahrscheinlich mein kleines Wörterbuch als vierte Definition von Luder "Aas, Kadaver, totes Tier (zum Anlocken von Raubwild) an. Wenn dieser Dauereinsatz von weiblichen Körperteilen im Gegenteil wenigstens nur ein selbstbewusster Selbstzweck wäre, um gewisse Inhalte zu transportieren, könnte man ja noch mit gutem Willen von einer Version des Female Empowerment sprechen (Modell Madonna, Peaches, Princess Superstar etc.), aber natürlich geht es da meistens ganz klar um den männlichen Blick. Und auch bei noch so viel gutem Willen ist es einfach unmöglich, Naddels im Privatfernsehen inszenierte Brustwiege-Aktion in irgendeiner Weise als positive Selbstbekräftigung zu sehen.
Auch ich bin natürlich von der pentranten Selbstdarstellung einiger dieser zu Ludern gekürten Semi-Celebrities schwerst abgeturnt, aber ich sehe ihr Auftreten hauptsächlich als logische Folge einer sexistischen Entertainment-Industrie, in der Frauen ohne oder mit wenig Kleidung viel schneller zu Ruhm (und dadurch auch Kohle) kommen als mit intelligenten Aussprüchen. Dass dann weibliche Alt- Stars wie Inge Meysel in einer Wetten, dass-Folge (die ich selbst nicht gesehen habe) sich nicht entblöden, mit Elvers und Sommer zu streiten und ihnen vorzuwerfen, dass die Frauen früher doch viel origineller gewesen seien und es deswegen nicht nötig gehabt hätten, so viel Haut zu zeigen, geht völlig am Ziel vorbei. Denn auch wenn einen Selbstdarstellerinnen von diesem Kaliber den letzten Nerv rauben, finde ich es viel ärgerlicher, dass das Boulevard-Biz gleich mit solch dämlichen, bewusst negativen Begriffen zur Hand ist, um publicity-geile Frauen auf diese gehirnlose Rolle festschreiben zu können. Ich frage mich nur, was ist das männliche Pendant zum Luder - ...? Für Männer sind solche Modelle einfach nicht vorgesehen. Vor einer Weile hat der Kölner Sender Eins Live eine Party mit dem Motto "Luder und Lude" veranstaltet. Ein Lude ist bekanntlich ein Zuhälter, der folglich über den Körper des Luders verfügt. Tja, dann passt ja alles zusammen... |
fm4 dez 01