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Lifestyle-Binde & Co.
 
Der Hygieneindustrie ist das zweifelhafte Kunststück gelungen, eine neue Marktlücke zu generieren: style-orientierte Produkte für die Regelblutung.
(2002.09.16, 11:32)

"Die Geschichte der Menstruation ist eine Geschichte voller Missverständnisse", sagt die kühle Schönheit im weißen Ärztinnenkittel mit ernstem Blick in die Kamera. Dann umschließt sie mit ihren langen, sorgfältig manikürten Fingern einen strahlend weißen Tampon, um die perfekte Anpassungsfähigkeit des Produktes an den weiblichen Körper zu demonstrieren. Mit der Lösung des Rätsels, ob aseptische TV-Models aus den Händen menstruieren, bleiben die Fernseh-ZuschauerInnen allein zurück.

Produktpalette

Trotz aller Missverständnisse, die durch die prüde-verschleiernde, absurde Symbolik der Mammut-Werbekampagnen für Menstruationsprodukte eher perpetuiert statt in irgendeiner Weise aufgeklärt werden, ist heutzutage jeder Konsumentin doch zumindest eines klar: Über das ökonomische Potential der weiblichen Monatsblutung gibt es keine Zweifel mehr. So gut wie jede Frau irgendwo zwischen 10 und 55 ist einmal im Monat auf die Services der Hygieneindustrie angewiesen, womit die Herstellerfirmen den beinahe einmaligen Luxus einer kontinuierlichen, nie abreißenden Nachfrage nach ihren Produkten genießen. Mehr oder weniger vorbei sind auch die Zeiten, in denen Feministinnen die staatlich finanzierte Gratisabgabe von Tampons und Binden forderten, da der Staat letzen Endes der Nutznießer der weiblichen Reproduktionsfähigkeit sei.

Denn wie, ganz polemisch gefragt, sollte eine staatliche Organisation überhaupt, angesichts der aktuellen Produktschwemme in dem Bereich, der trotz medialer Dauerpräsenz und -eminenz immer noch verschämt-euphemistisch "Monatshygiene" genannt wird, Entscheidungen darüber fällen, was Frauen tatsächlich brauchen? Ist es der extra-starke o.b.-Tampon mit superweicher Vliesumhüllung zum leichteren Einführen oder doch die ultradünne Binde mit Flügelchen? Ist es die nach frischer Wäsche duftende Slipeinlage in Körperform oder die schwarze Alldays-Stringtanga-Slipeinlage in Keilform? Oder ist es gar Senta Protect, der Badetampon, der vor dem Eindringen von Wasser beim Schwimmen schützt, oder ist Instead, die ringförmige Menstruationstasse, die Lösung aller "weiblichen Probleme"?

Outfit-kompatibel

Wenn der Markt zwar beständig, aber nicht mehr expandierbar ist ? keine noch so clevere Werbekampagne ist zum Glück in der Lage, die Frequenz der Regelblutungen zu erhöhen ? müssen neue Bedürfnisse geschaffen werden. Wo zunächst noch der Sauberkeitsfaktor bzw. das Unsichtbarmachen der "unappetitlichen" Ausscheidungen in den Kampagnen im Vordergrund standen, wird jetzt das Lifestylepotential von Binde & Co entdeckt. Bis vor kurzem waren es hauptsächlich blendend gelaunte, Sport treibende Frauen, die die Konsumentinnen mit ihren grellweißen Outfits davon überzeugen wollten, dass es trotz der unheimlichen Vorgänge zwischen den Beinen mit dem richtigen Erzeugnis möglich ist, rein und ? im wahrsten Sinne des Wortes ? unbefleckt zu sein (und das möglichst 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche ? so wurde die Slipeinlage geschickt an die Frau gebracht). Jetzt aber treten neue Mechanismen auf den Plan, denn nicht mehr ausschließlich Komfort und Verhüllung sollen die Kaufentscheidung lenken, sondern die Schutzvorrichtungen müssen nun auch noch Outfit-kompatibel sein: in den Stringtanga wird flugs die mittlerweile von fast allen Herstellern geführte String-Binde oder String-Slipeinlage gepappt, ein schwarzes Outfit wird von der mit großem Marketingbrimborium und pseudostylisher Website eingeführten Alldays Black Slipeinlage (mittlerweile auch in Stringform) perfekt abgerundet.

(Rosa)Rot

Dass die Diversifizierung der Produktpalette, die natürlich mit einer erheblichen Werbepräsenz verbunden ist, zu einem offeneren, weniger heuchlerisch aufgeklärten Umgang mit einer immer noch tabuisierten weiblichen Körperfunktion führen könnte, bleibt bis dato ein unerfüllter Wunsch. Obwohl es schon möglich geworden ist, Worte wie "Regelblutung" in einem kommerziellen Zusammenhang auszusprechen, müssen sich WerbungsrezipientInnen immer noch mit lachhaften Symboldarstellungen der tatsächlichen Vorgänge zufriedengeben. Wenn irgendwann die klinisch-blaue Flüssigkeit, die in simulierten Labortests auf Binden gegossen wird und deren Relation zu Menstruationsblut wohl niemandem klar ist, durch rot eingefärbtes Wasser ersetzt wird, wäre immerhin schon einmal ein kleiner Anfang gemacht. Und wer weiß, vielleicht könnte frau dann viel unverkrampfter das verbreiterte Sortiment genießen und sich auch mal mit einer roten Binde schmücken? | nylon nov 2001
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