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Drawing the Line
 
Ute Hölzl und Sonja Eismann erklären, warum die alltagsnahen Comic-Erzählungen der Independent-Community abseits von Übermenschen und Superfiguren süchtig machen können.
(2002.09.18, 11:09)

Abseits der großen Players der Comic-Welt, die mit Übermenschen und Superfiguren vor allem kommerziell punkten, hat sich eine stetig wachsende Independent-Community weiblicher Artists etabliert, die unbeirrt und manchmal erfrischend ungelenk ihre Lebensentwürfe zu Papier bringt. "I thought it was pretty rebellious and 'punk' to be a girl and yet reading comics" erinnert sich Comic-Zeichnerin Jessica Abel auf ihrer Homepage an erste zaghafte Kontakte mit der Comic-Welt jenseits von Donald und Mickey. Wie viele andere Comic-Künstlerinnen konnte sie als Kind nicht genug von Kid?s Comics bekommen, fühlte sich als Teenie aber in der von Sammelleidenschaft und Superhero-Worship besessenen Jungs-Community der Comic-Fans nie wirklich heimisch.

Comic-Shops sind nach wie vor Jungs-Terrain, in dem sich Frauen, ähnlich wie in szenigen Plattenläden, viel zu oft als unliebsame Eindringlinge fühlen. Wieso Interesse für Comics sich zu einem Hobby für Männer entwickelt hat ? der in Popkulturfilmen abgefeierte männliche Comic-Nerd ist als lebendiges Klischee tatsächlich zwischen so einigen Ladenregalen anzutreffen ? ist eigentlich genauso unverständlich wie die männliche Vorherrschaft in allen Belangen der Musik. "Künstlerische" Begabung von Frauen wird als hübsches Accessoire ja nicht nur geduldet, sondern auch gerne aktiv gefördert. Doch es bleibt in einer patriarchalen Gesellschaft vermutlich weiterhin den Männern vorbehalten, aus ihrem künstlerischen Interesse ein ausschließendes und präskriptives Expertentum zu schmieden, mit dem andere dann übertrumpft werden können.

Bringing Home the Bacon.

Diese stark männlich orientierten Strukturen der Comic-Welt, die sich im Exzess sexistischer Darstellungen und männlicher Superhelden in zahlreichen Massencomics ergehen, konnten zum Glück dennoch nicht verhindern, dass besonders im anglo-amerikanischen Raum eine lebhafte alternative Comic-Szene entstanden ist, in der viele Frauen uneingeschüchtert ihre Lebensentwürfe und Alltagserfahrungen zu Papier bringen. Abseits der breiten Nachfrage nach knallbunten Übermenschen in Hochglanzwelten, die von Großverlagen wie Vertigo und DC mit immer neuen Produkten bedient wird, ist der Markt eng für ambitionierte Kleinverlage. Diese, ständig mit dem Überlebenskampf beschäftigt, sind dauernd auf der Suche nach neuen Strategien, mit denen sie ihre künstlerisch und inhaltlich vom Massengeschmack abweichenden Produktionen finanzieren können. Fantagraphics, einer der größten amerikanischen Indie-Verlage, führt zu diesem Zweck eine eigene Erotiklinie, was von dort veröffentlichenden Zeichnerinnen wie Roberta Gregory immer wieder kritisiert wird.

Besonders die Frauen, die in ihren Comics geschlechtsspezifische Issues behandeln und damit den potenziellen KundInnenkreis noch weiter einschränken, bekommen diesen marktwirtschaftlichen Druck zu spüren. "I?m no Adrian Tomine" sagt die Comic-Zeichnerin und Illustratorin Debbie Drechsler in Anspielung auf den als neuen Indie-Comics-Star gehandelten Berkeleyer, der wie sie beim qualitätsvollen Seattler Verlag Drawn&Quarterly verlegt wird. "I basically sell slightly under 3000 copies. Which is respectable, but is not bringing home the bacon by any means."

Während bei den notorisch schlecht zahlenden Indies das Problem der Distribution und damit der Erreichbarkeit für Interessierte schon groß ist ? Drechsler verweist gequält darauf, dass die Verkäufer in ihrem lokalen Comic-Store, für den sie einen Creator?s Discount hat, sie jedes Mal fragen, wer sie denn sei ? ist es für Frauen, die nicht das Glück haben, von einem Verlag gesignt zu werden, beinahe unmöglich, mit ihren Heften überhaupt an die Öffentlichkeit zu gelangen. Das hält viele von ihnen ? die meisten davon in Nordamerika, der Brutstätte der Zinekultur ? nicht davon ab, in guter Do-it-Yourself-Manier ihre Zeichnungen in selbstveröffentlichten und -kopierten Mini-Comics unterzubringen, die durch die funktionierenden Fanzine-Netzwerke weiterverteilt werden und in glücklichen Momenten auch in aufgeschlossenen Läden zu finden sind. Sarah Dyer, Herausgeberin der "female comic anthology" Action Girl, stellte 1991 als Macherin eines Musik- und Comic-Zines einen Newsletter mit Reviews anderer Girl-Zines zusammen, aus dem ? auch dank der Riot-Grrrl-Zine-Explosion kurz darauf ? die bis heute erfolgreichen Action-Girl-Comics hervorgingen.

Real Time.

Während sich Sarah Dyer inhaltlich für Action-Geschichten begeistern kann und sicherlich auch deswegen ein breiteres Publikum erreicht, verfolgen viele der Frauen aus dem Indie-Umfeld ein anderes Genre, dem aufgrund seiner stilistischen Anlehnung an erzählende Literatur gerne der Stempel "graphic novels" aufgedrückt wird. Ohne Teil einer speziell weiblichen Sparte zu sein ? Männer wie Joe Matt, Seth, Tomine und viele andere sind auch an Bord ? prägen die Künstlerinnen ihre Werke durch einen subtilen, geschärften Blick auf Lebens- und Gefühlssituationen von Frauen. Dieser charakterisiert gewisse Alltagssituationen so genau, dass ein süchtig machender Wiedererkennungseffekt eintritt. Viele der Materialien sind autobiographisch oder wirken zumindest im weitesten Sinne "confessional", wobei die behutsame, häufig an ein Film-Storyboard erinnernde Erzählführung mit ihren dramatischen Zuspitzungen oder effektvollen Ellipsen verhindert, dass jemals das Gefühl einer banalen Aneinanderreihung von Alltagsszenen entsteht. Debbie Drechsler erklärt, dass die Inspiration für ihre wunderbar einfühlsame Coming-of-Age-Story Nowhere, die mit leisen Tönen und sparsamsten Mitteln die typischen Teenager-Ängste und -Erfahrungen eines jungen Mädchens in den 70ern beschreibt, zum Großteil aus der Rekapitulation ihrer eigenen Jugend stammt. Jessica Abel, Megan Kelso und Ariel Bordeaux konzentrieren sich in ihren an elaborierte Kurzgeschichten erinnernden Comics eher auf Momentaufnahmen aus dem Alltag. Bei Abel und Bordeaux spielen diese zumeist im collegenahen, urbanen Hipstermilieu und sind sehr dialoglastig, bei Kelso können auch mal das Zusammentreffen einer jugendlichen Sandlerin mit einer Waschsalonbesitzerin oder sogar Ausflüge ins fantastische Land der Artischockenmännchen thematisiert werden.

Zwischen Autobiographie und Traumwelt.

Solche autobiographischen oder alltagsnahen Comics sind in ihrer fast "real time"-ähnlichen Erzählstruktur meist extrem offenherzig und besitzen oft auch einen Hang zum Melancholischen und Depressiven, wenn es um die schonungslose Aufarbeitung gravierender psychologischer Vorfälle geht. In Daddy's Girl erzählt Debbie Drechsler in lose zusammenhängenden Geschichten schockierend offen und doch poetisch von einem Mädchen, das von seinem Vater sexuell missbraucht wird. Julie Doucet, eine der bekanntesten "Underground"-Zeichnerinnen, flüchtet sich stattdessen in ihren Comics in Fantasiewelten und taucht damit in das verwinkelte Kanalsystem ihres Unterbewusstseins ab. Anstatt autobiographisch zu zeichnen, scheint sie eher ihre Träume und vor allem Albträume zu Papier zu bringen. Ihre primitiv wirkenden Zeichnungen mit "schiefer" Perspektive sind vollgestopft mit dunklen Flächen, Dreck, Schmutz und finsteren Gestalten. Ihre Serie Dirty Plotte ("plotte" bedeutet in Quebecois Möse) ist voll von dichten Kurzgeschichten, absurden Begegnungen, Menschen in Katzengestalt, Gefahren, die hinter jeder Ecke lauern, Frauen, die überfallen und vergewaltigt, und Männern, die zerschnitten werden. Doucet stellt ihre paranoiden, selbstzerstörerischen Fantasien über Menstruation, Sexualität, Klaustrophobie und Drogenmissbrauch in den Mittelpunkt ihrer Geschichten, die in ihrem Buch My New York Diary auch autobiographischer werden, dennoch aber immer eher die dunkle Seite des Dschungels Großstadt zum Thema haben.

Aus dem Leben gegriffen.

Ein Dschungel ist auch die Arbeitswelt, die in Naughty Bits dargestellt wird. Roberta Gregory, Schöpferin von Bitchy Bitch, der Hauptfigur von Naughty Bits, und ihrem lesbischen Alter Ego Bitchy Butch, ist eine Veteranin unter den Comic-Zeichnerinnen. 1976 war sie die erste Frau, die ein eigenes Comic-Heft publizierte. Bitchy Bitch hasst alles und jedeN, vor allem die konsumgeile Welt, in der Menschen wie sie kaum mehr Platz haben: Sie arbeitet in Dead-End-Jobs, hat mit grausigen Liebhabern, Born-Again-Mitarbeiterinnen und vor allem mit deren Vorurteilen zu kämpfen. Midge alias Bichty Bitch ist eine unsympathische Person, anti-feministisch, chronisch unzufrieden und in ihrem rasenden Zorn gegen die ganze Welt eine höchst amüsante und sehr gut nachvollziehbare Erscheinung.

Gregory hat diese Figur geschaffen, um Comics à la Robert Crumb, in denen die "witzige" Demütigung und Vergewaltigung von Frauen fixer Bestandteil des Programms ist, etwas entgegenzustellen. Sie stellte sich die Frage, ob die Öffentlichkeit im Gegenzug auch einen Comic lustig finden wird, in dem Männer auf ganz ähnliche Art von Frauen gedemütigt werden. Es scheint so, denn immerhin hat es Naughty Bits, das auf genau diesem Konzept aufbaut, trotz zeitweiliger Einstellungsdrohungen des Verlags wegen mangelnder Auflagen schon bis zur 33. Ausgabe gebracht.

Dass Frauen fiktionale Charaktere schaffen können, wird ihnen ? ähnlich wie in der Literatur ? kaum zugestanden. So wird neben der Standardfrage "Wie bist du zum Zeichnen gekommen?" der (lesbischen) Roberta Gregory fast immer auch die Frage gestellt, wieviel von ihr selbst in ihrer (heterosexuellen) Figur stecke ? wahrscheinlich mit der sensationslüsternen Vermutung, eine männerhassende Verrückte zu interviewen, die an chronischer PMS leidet.

Coming of Age.

Ariel Schrag geht mit dem Autobiographischen in ihren Comics ganz locker um ? auch wenn sie vermutlich noch mehr als Roberta Gregory mit ihrer eigenen Figur identifiziert wird. Ihre bisher erschienenen Bücher Awkward, Definition und Potential sind so dezidiert autobiographisch, dass die einzigen Abweichungen von der Realität im Ändern der Namen der ProtagonistInnen bestehen. Schrag, die jetzt 21 ist und an der Columbia University studiert, hat seit dem 15. Lebensjahr ein Comic-Tagebuch geführt ? eine Chronik ihrer Jahre auf der Highschool zwischen der heißen Liebe für den Bio-Unterricht, heimlichen Besäufnissen und Kifforgien, der zerrütteten Ehe ihrer Eltern, erstem Sex und Coming-out. Schrag?s Coming-of-Age-Story beschreibt unverkrampft und amüsant Aufwachsen und Pubertät von Mädchen in den 90ern. Dass die Geschichte in Berkeley, Kalifornien, angesiedelt ist, tut ihrer Nachvollziehbarkeit keinerlei Abbruch, denn bei vielen Aussagen oder Erlebnissen würde frau am liebsten aufschreien, ja genau, so war?s bei mir auch. Ariels (künstlerisches) Älterwerden kann man sowohl am Zeichenstil als auch an der Erzählweise erkennen, wobei ihre ersten Strips keineswegs schlechter als Potential ? ihr letztes Werk, das vor kurzem bei Slave.Labor als Sammelband erschien ? sind: Die Perspektive einer 15-Jährigen ist eben anders als die einer 20-Jährigen. Ihr Umgang mit der sexuellen Orientierung bzw. der Suche danach ist so angenehm natürlich und frei von belehrendem "Outing"-Ton, dass es eine pure Freude ist. Schließlich gibt es auf der Highschool aber auch eine Gruppe cooler Dykes und eine superlässige lesbische Lehrerin, die Ariel unterstützen.

Friends of Lulu.

Neben den hier bereits erwähnten Zeichnerinnen gibt es noch Unmengen anderer Frauen, die in der Comic-Industrie tätig sind ? von bekannten Persönlichkeiten wie den Verfasserinnen der populären Lesben-Comic-"Klassikerinnen" (Alison Bechdel mit Dykes to Watch Out For und Diane DiMassa mit Hothead Paisan) bis zu namentlich nie genannten Mitarbeiterinnen großer Verlage. Es ist Verdienst und Anliegen der renommierten Comic-Zeichnerin Trina Robbins, mit ihrer Datenbank Friends of Lulu all diese Künstlerinnen sichtbar zu machen und eine dringend notwendige Vernetzung innerhalb der Szene herzustellen. Auch abseits der USA gibt es natürlich eine weltweit aktive Frauen-Comic-Szene, wobei in Ländern wie z. B. Deutschland und Frankreich eher der künstlerische, surreale und nicht so sehr der narrative Zugang im Vordergrund steht.

Doch auch wenn es bereits einige Comic-Zeichnerinnen gibt, die es bis an die Spitze geschafft und ein breiteres Publikum gefunden haben, müssen Frauen ? wie in den meisten gesellschaftlichen Bereichen ? dennoch weiterhin mehr leisten als Männer, um Aufmerksamkeit zu erhalten, meint Action Girl Sarah Dyer. Was es also braucht, ist noch mehr weibliches Publikum und unbeirrbare Zeichnerinnen, die gemeinsam den Nerd-Boy-Club der traditionellen Comic-Leser sprengen und die Comic-Läden endlich auch zu ihrem Terrain machen. | nylon nov 01
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