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Persepolis
 
In einem wunderbaren Comic erzählt die Exil-Iranerin Marjane Satrapi die an- und aufrührende Geschichte ihrer Kindheit in Teheran - und räumt mit westlichen Stereotypen über ihr Heimatland auf.
(2004.04.13, 21:07)

Wie oft passiert das noch, dass ein Werk einEn so aus den Angeln hebt, dass man sich vor Freude auf die Brust trommeln und vor Berührt-Sein Rotz und Wasser vergießen möchte? Manchmal bei Filmen, ab und zu bei Musik. Und bei Büchern? Viel zu selten. Am ehesten noch bei Comics, die man passenderweise eher Graphic Novels nennen sollte und die es im besten Fall schaffen, wie z.B. Debbie Drechsler oder Phoebe Gloeckner mit ihren bittersüßen Coming-of-age-Geschichten, durch die Kombination von sparsamsten Mitteln in Text und Bild ganz bestimmte Gefühlszustände bildlich nachvollziehbar zu machen.

Was Marjane Satrapi mit ihrem autobiographischem Comic "Persepolis" wie einen Donnerschlag aufs Tablett knallte, erschüttert allerdings auch noch die hinterletzten Kämmerchen des eigenen Rezeptionsvermögens und hievt die Vorstellung von "fantastisch" auf ein neues Plateau. Mit wunderschön schlichten, holzschnitthaften, beinahe kindlichen Schwarz-Weiß-Zeichnungen erzählt die in Teheran aufgewachsene Kinderbuchillustratorin ihre eigene Kindheit und anbrechende Pubertät in Teheran. Und die Geschichte, die aus diesem Revolutions-, Kriegs- und Terror-geschüttelten Land erzählt wird, ist ganz einfach herzzerreißend, aufrüttelnd, grausam und schön.

Der Antrieb für diesen ersten iranischen Comic überhaupt war, wie die 1969 in Rasht geborene und jetzt in Paris lebende Satrapi in Interviews immer wieder betont, die ihr im Westen ständig um die Ohren flatternden Misskonzeptionen über den Iran, seine Geschichte und BewohnerInnen. Um ihren gebetsmühlenhaften "Nein, so ist es dort nicht"-Dementis gegenüber Medienimages und -klischees ein Ende zu setzen, beschloss sie, ermutigt von ihren FreundInnen aus dem Umfeld des renommierten französischen Comic-Verlags L'Association, die große Geschichte aus der kleinen in Bildern zu entwickeln.

Dabei gelingt es ihr nicht nur, westlich-ignorante Bildungslücken zu schließen - denn wie bereitwillig lässt man sich nicht, gerade durch die Post-9/11-Brille, vom Gemeinplatz einlullen, dass die islamische Revolution 1979 zur Absetzung des Schah von Beginn an islamistisch-religiös motiviert war, statt wahrzunehmen, dass viele auch für eine sozialistische Gesellschaft kämpften? Sondern sie unterzieht auch ihr eigenes Leben als Sprössling einer wohl situierten, linksliberalen, hochadligen Familie einer scharfen Kritik, ohne je den liebevollen Blick auf diese zu verlieren. Wenn die fürsorglichen, überaus sympathischen Eltern ihrer kleinen Tochter "Der dialektische Materialismus" als Comic schenken und zuerst gegen den Schah und später gegen Religionsterror und Überwachungsstaat protestieren, gleichzeitig jedoch Cadillac fahren und sich ein analphabetisches Dienstmädchen halten, wundert sich die Ich-Erzählerin, ohne mit dem denunziatorischen Zeigefinger zu wedeln.

Auch das Grauen der Folterungen, Hinrichtungen und Kriegsopfer spart die Autorin nicht aus, und trotz der bleiernen Trauer, die diese Betrachtungen, zumal aus Kindersicht, auslösen, vermittelt Marjane Satrapi ein Gefühl der Hoffnung: dass vielleicht irgendwann alles nicht umsonst war. Schon alleine deswegen sollte man diesen wunderbaren Comic lesen. Unbedingt.

Marjane Satrapi: Persepolis. Eine Kindheit im Iran. Edition Moderne 2004 | intro april 04
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