Die dicke Barbie
Wenn es nach Übergrößenmodell Melissa Miller und Puppendesigner Robert Tonner geht, hat die spindeldürre Blonde bald ausgedient: Die neue Puppe Emme soll Barbie mit realistischeren Formen ausstechen.
(2002.09.20, 16:21)
Platz da Barbie! Emme kommt
Letztens jemand aus der Redaktion zu mir: "Sonja, du schreibst doch was über die
dicke Barbie, oder?" Wie? Die dicke Barbie? Gibt's so was jetzt? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Ich mache mich sogleich auf die Suche und stelle fest: eine richtige dicke Barbie von
Mattel, dem offziellen Barbie-Hersteller, ist es nicht. Aber es gibt Emme, geschaffen nach dem amerikanischen real-life, plus-size Model Melissa Miller a.k.a.
Emme, die schon zweimal unter die 50 schönsten Menschen des Jahres vom People Magazine gewählt wurde und das erste "full-size" Model war, das vom Kosmetikkonzern Revlon unter Vertrag genommen wurde.
Die Emme-Puppe soll, realistischer als die ewig dünne, atombusige Barbie, die Körper echter Frauen repräsentieren und jungen Mädchen helfen, positive und gesunde Selbstbilder zu entwickeln. Mit ihrem Miniatur-Nachbau von Real-Emmes 86kg auf 1,80m kommt die blonde Puppe in einem stylish-zeitlosen schwarzen Cocktailkleid, unter dem breite Schultern, üppige Brüste und Hüften und kräftige Schenkel stecken. Puppenvorbild Melissa Miller, die sich neben Tätigkeiten als Beauty-Fernsehhost und Buchautorin auch in Essstörungs-Organisationen engagiert, sieht die Puppe sowie ihr öffentliches Auftreten als Role Model für Nicht-Dünne als wichtige Message für ein normaleres Verhältnis zum eigenen Körper: "We live in a society that is based upon the attainment of unrealistic beauty. I want women to know their self-esteem is not contingent upon their dress size. Give your children, if you can find them out there, dolls of all different hues, of color and different shapes and sizes."
Die Presse zeigt sich begeistert angesichts der Spielzeug-Innovation, die aufgrund des happigen Ladenpreises von rund 100 $ wohl nicht so bald massenweite Verbreitung finden wird; und spricht vom "hottest new product", vor dem sich Barbie in acht nehmen solle, denn "thin is not in", wie etwas vorschnell auf den Seiten der
LA Times verkündet wurde. Doch dort findet man auch den Hinweis, dass Robert Tonner, der Designer der Puppe, lieber über die Schönheit und den Glamour von Emme als über unangenehme Themen wie Essstörungen und Schönheitsterror spricht.
Hier stellt sich jedoch bald die Frage, inwieweit ein Schönheitsideal, das ein anderes ersetzt, den Status Quo verbessern kann und will. Auch wenn Emme eher eine dem Körper einer tatsächlichen Frau nachemfpundene Statur hat, ist sie dennoch im klassischen Sinne schön. Sie hat blondes Haar und blaue Augen, ebenmäßige Züge und perfekte Proportionen. Was ist dann aber mit den kurzbeinigen, flachbrüstigen, langnasigen, dunkelhäutigen, dickbäuchigen Mädchen? Die werden sich von der strahlend schönen, weißen Emme auch nicht wirklich repräsentiert sehen, sondern sich neben ihr weiterhin unzulänglich fühlen. Statt Schönheitsideale abzuschaffen, wird durch eine Erfindung wie der Emme-Puppe das Spektrum nur ein wenig erweitert. Das ist aber immerhin auch schon mal was, denn vielleicht ist die Bandbreite irgendwann so weit, dass es keine verbindlichen Normen mehr gibt (and I am the queen of wishful thinking, wie letztens eine Freundin so schön gesagt hat). |
fm4 märz 02