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Riot on the dancefloor
 
Mehr Glamour und Raum für queere Beats! Das fordern die Berlinerinnen von rhythm king and her friends mit ihrem ersten Album "I Am Disco".
(2004.05.18, 14:53)

rhythm king and her friends aus Berlin haben nach Eigenveröffentlichungen und Konzerten mit Le Tigre endlich ihren ersten Longplayer veröffentlicht. "I Am Disco" erscheint bei Kitty-Yo und buchstabiert elaboriert all das auf Albumlänge aus, was die drei Frauen von rhythm king schon von Beginn an zu einem Geheimtipp für Text-, Song- und Club-orientierte Elektronik gemacht hat. Die Wahlberlinerinnen Pauline Boudry, Sara John und Linda Wölfel verhandeln in den 13 zum Teil bereits veröffentlichten Stücken auf "I Am Disco" nicht nur queere Identitäten und Gender Issues, sondern nehmen sowohl die Arbeitsrealitäten in den Cultural Industries des Neoliberalismus wie auch die Komplexität nicht-materieller Arbeit genau unter die Lupe. Das klingt bei den Rhythm Queens bei aller smarten Diskurslastigkeit jedoch nie angestrengt, sondern durch den mit ihrer Indie-Musiksozialisation gepaarten elektronischen DIY-Ansatz so leichtfüßig poppig und tanzbar, dass man nur noch die Tanzfläche stürmen und "I Am Disco, Too" brüllen möchte.

Im Interview zeichnet Pauline Entstehen, Motivationen, Ziele und Inhalte der Band nach.

Wie habt ihr euch kennen gelernt und wie hat sich das ergeben, dass ihr jetzt alle in Berlin lebt?

Als ich nach Berlin kam lernte ich in der ersten Woche Sara kennen und durch eine Kassette auch Miyax, die frühere Band von Linda. Miyax waren richtig toll, viel besser als die meisten Sachen, die ich damals in Deutschland kannte. Ein Jahr später fingen wir alle drei mit rhythm king and her friends an und es hat sofort zwischen uns gefunkt. Das Stück "Shock" haben wir z.B. bei unserer ersten Probe gemacht! Linda, die damals noch in Bremen wohnte, hat sich überzeugen lassen, nach Berlin zu ziehen, weil das Pendeln auf Dauer unmöglich war.

Wie kam der Deal mit dem Label Kitty-Yo zustande? Für Außenstehende hätte eine Zusammenarbeit mit Chicks on Speed Records ja eigentlich viel näher gelegen.

Wir haben erst mal ziemlich lange kein Label gesucht und alles selbst gemacht, irgendwann wurde es aber zuviel. Wir finden auch sehr cool, was bei Chicks on Speed veröffentlicht wird, aber wir haben unsere Musik zuerst zu Kitty-yo geschickt. Sie haben sofort und sehr positiv reagiert. Wir hatten gleich beim ersten Treffen den Eindruck, dass sie ein gutes Feeling für das haben, was wir machen.

Mit was für einem Equipment arbeitet ihr?

Für uns macht es total Sinn, sehr direkt mit unseren Instrumenten spielen zu können, und uns nicht erst sechs Monate mit einer Gebrauchsanweisung beschäftigen zu müssen. Wir haben kleine Sampler und Drumcomputer, Gitarre und Bass und verschiedene einfache analoge Instrumente, die man billig auf dem Flohmarkt findet. Auch mit einem Casio SK-1 oder mit einem kleinen Glockenspiel kann man tolle Sounds produzieren!

Ihr tauscht ja, auch live, immer wieder die Instrumente unter euch aus. Inwieweit ist euch das konzeptuell wichtig? Es gibt ja Leute, die meinen, dieses Phänomen wäre besonders in Bands von Frauen verbreitet – was könnte ein Grund dafür sein?

Wir tauschen Instrumente aus, weil es unser Anspruch ist, dass sich keine für eine einzige Funktion in der Band spezialisiert. Als wir mit rhythm king and her friends angefangen haben, hatte keine von uns in einer Band Bass gespielt oder mit Samples und Synthesizers gearbeitet. Aber wir wollten natürlich alle alles probieren! Es war klar, dass wir keine Frontperson wollten, sondern alle singen wollten, und möglichst in einem Lied mit mehreren Stimmen! Ich denke, dass wir mit anderen Frauenbands eine ironische Abwendung vom Modell "Rhythm King" als Machoband-Frontmann teilen! Wir haben eine kollektive Arbeitsweise entwickelt, die bemüht ist, nicht hierarchisch zu sein. Das könnte man eine feministische Arbeitsweise nennen. Eigentlich ist es wichtig, dass nicht nur die fertigen Stücke einen feministischen Inhalt haben, sondern auch der Prozess selbst.

In der Info zu euren allerersten Stücken habt ihr damals geschrieben, es sei euch wichtig, Queer Theory mit elektronischen Mitteln zu kombinieren. Wieso erscheinen euch elektronische Mittel dafür adäquater als ein klassisches Indie-Set-up?

Als wir rhythm king and her friends angefangen haben, gab es keine queere elektronische Musik von Frauen, und wir und viele Ladies wollten aber schon in Clubs auf queere Beats tanzen! Wir wollten einen Raum schaffen und mehr Glamour.

Wie geht ihr damit um, dass ihr oft im Zusammenhang mit Le Tigre als Vorbild genannt werdet, habt ihr ein Bedürfnis, euch dagegen abzugrenzen?

Wer kommt denn darauf, uns mit Le Tigre stilistisch zu vergleichen? Wir denken, dass wir auf jeden Fall einen anderen Sound haben. Wir teilen ganz sicher den feministischen, aktivistischen Zugang zu unserer Arbeit. Wir sind eigentlich der Meinung, dass es zu wenige Bands gibt, die Feminismus und elektronische Sounds verbinden, etwas, was uns selbstverständlich vorkommt.

Wie wichtig ist euch eure musikalische Indie-Vergangenheit, die man den Songstrukturen teilweise ja noch ziemlich anhört?

Klar, wir sind alle drei mit vielen Frauenbands aufgewachsen, sei es
Liliput, ESG, Au Pairs, Team Dresch oder Babes In Toyland. Aber wir haben auch die 52s oder Rap gehört, und man könnte sagen, dass "Indie-Musik" Teil unserer Vergangenheit ist, zwischen anderen Einflüssen. Wir haben eigentlich kein Modell, wie unsere Songs klingen sollen. Bei jedem neuen Song probieren wir neue Kombinationen und neue Instrumente aus. Wenn wir ein neues Lied anfangen, haben wir keine Ahnung, wie es am Ende klingen wird. Wir sind aber eine independent Band in dem Sinn, dass wir nicht nach kommerziellen Kriterien entscheiden, wo wir spielen und mit wem wir arbeiten.

Inwieweit seid ihr in eine spezifische Berliner (Musik)Szene eingebunden? Tauscht ihr euch mit Musikerinnen wie Kevin Blechdom, Angie Reed, CoS etc. aus, die ja an ganz ähnlichen Entwürfen arbeiten?

Wir haben jetzt ein paar Mal mit Kevin Blechdom gespielt oder auch mit Angie Reed bei Marke B, und diese Veranstaltungen waren jedes Mal ein guter Rahmen für uns. Es macht total Spaß, mit anderen Musikerinnen zu spielen, die in einer ähnlichen Richtung arbeiten!

Was macht ihr neben der Musik, und wie beeinflusst das eure Musik?

Linda ist Grafikerin und macht auch viel Grafik für die Band. Pauline arbeitet mit Renate Lorenz und Brigitta Kuster in vielen Projekten zum Thema Arbeit und Sexualität, wie im Buch "Reproduktionskonten fälschen!", und diese Auseinandersetzung findet sich sowohl in Songtexten sowie in der Praxis des Bandalltags wieder. Sara möchte aber möglichst von der Musik abkoppeln, was sie außerhalb der Band macht.

Wieso habt ihr euch für den Mix aus verschiedenen Sprachen entschieden?

Wir sehen uns als eine Band, die in Berlin lebt, aber nicht nur für ein deutsches Publikum spielt. Wir singen viele Sachen in "internationalem Englisch" mit unseren verschiedenen Akzenten. Manchmal macht es inhaltlich Sinn auf französisch zu singen oder bulgarisch. Sobald du in einer Sprache sprichst oder singst, die nicht deine Muttersprache ist, erfindest du neue Sachen in dieser Sprache. Durch den Akzent, oder durch andere Ausdrucksweisen, werden auch andere Sachen gesagt. Das interessiert uns. Da wir alle Autodidaktinnen sind, könnte man auch sagen, dass wir unsere Instrumente auch mit Akzent benutzen, was auch beim Spielen eine andere Qualität einführt.

Wieso habt ihr den Albumtitel "I Am Disco" gewählt, der ja ein sehr offensives Statement ist? Ist das im Sinne einer Aneignung zu verstehen, einer Neubesetzung? Denn in Klischee-Vorstellungen sind die Stereotypen zu weiblicher Queerness und Diskursivtät ja ziemlich antagonistisch zum Diskohedonismus.

Mit I Am Disco machen wir klar, dass wir die Produzentinnen unserer Musik und unserer Bilder sind. Wenn man beim Thema Diskohedonismus bleibt, könnte man sagen, dass "I Am Disco" eine Ambivalenz gegenüber der Discokugel bedeutet: In der Zeit von Disco gab es die Discokugel nur in Diskotheken, jetzt hängt sie vielleicht auch in deiner Firma. In einer Situation, in der der Discohedonismus unternehmerisch angeeignet wird und wo du mit deinen kreativen Fähigkeiten arbeiten sollst, wollen wir fordern – wie es auch im Text des Liedes steht: "Ich habe gute Eigenschaften, aber ich habe auch schlechte Eigenschaften, und die wollen auch arbeiten!"

Ist es euch wichtiger, dass eure Musik auf dem Dancefloor oder in klassischen Konzertsituationen oder einfach zu Hause funktioniert?

Überall!

"Get Paid" ist ja eigentlich die Hymne aller Lohnsklavinnen. Ist das aus einer persönlichen Situation/Erfahrung entstanden oder nur ein Wunschtraum?

Ich glaube, wir sind alle irgendwie in solche Situationen verwickelt. Bei "Get Paid" geht es um Arbeitsverweigerung, Arbeitssabotage wie bei klassischen ArbeiterInnenkämpfen... "put the machines out of order – load a virus on the computer"... Aber wir wollten auch Formen von Arbeit thematisieren, die in der klassischen Ökonomiekritik nicht als Arbeit gelten. Diese Sachen, die im Bereich von Hausarbeit, Zuhause und so genannter "Liebe" stattfinden. Das ist ganz schön viel Arbeit, die nicht bezahlt und nicht anerkannt wird. Da sollte man auch ein bisschen mehr streiken und sabotieren.

Ist das Problem aber heutzutage nicht viel mehr, vor allem in der so genannten "Bewusstseinsindustrie", dass die Leute so sehr in ihrem Job aufgehen, dass sie sich trotz turbokapitalistischer Arbeitsbedingungen so sehr mit ihrer Arbeit und damit auch dem Arbeitgeber identifizieren, dass sie sich quasi aus eigenem Antrieb ausbeuten lassen?

Ja genau, wir haben gute Eigenschaften aber wir haben auch schlechte
Eigenschaften, und die wollen auch arbeiten: I Am Disco!

Fotos mit freundlicher Genehmigung von sites.knup.de/rhythmking
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