"Ja, ja, genau!" Comics von Ariel Schrag
Ariel Schrags Comics sind grundsätzlich so anders als der übliche Superhelden- Superporno-Schmafu, der in den meisten Läden die Regale verstopft, dass das erste Heft aus ihrer "Potential"-Reihe für mich eine kleine Offenbarung war.
(2002.07.26, 19:25)
Früher dachte ich nämlich immer - und ich gestehe, dass ich ignorant war - dass Comics entweder Kleinkinderkram à la Entenhausen oder Gewalt- und Sexorgien bedeuten. Auch wenn manche dieser Hefte künstlerisch innovativ sein mögen - mir sagen sie leider nichts, Bekehrungsversuche sind zwecklos. Doch dann lernte ich, mit Ariel, das kennen, was in der amerikanischen Fachsprache gerne "Graphic Novels" genannt wird und bei mir oft unter der Bezeichnung (auto)biographische Comics läuft: Comics, die alltägliche Geschichten in Bildern erzählen und eher an Kurzgeschichten oder Romane erinnern. Manche von ihnen sind perfekt gezeichnet, andere sind krumm und schief dahingekrakelt und oft dadurch umso besser. Leider lässt sich alles, was nicht so ganz hochglanzig daherkommt, schlecht vermarkten und schafft es daher selten aus dem Ursprungsland (meistens die USA, wo es eine sehr lebendige underground Comic-Szene gibt) nicht bis zu uns.
So war es wohl auch eher ein Zufall, dass Ariels "Potential" sich in einen Wiener Laden verirrt hatte und dort von meinem Mitbewohner gekauft und von mir dann gierig verschlungen wurde. Ariel Schrags Comics erzählen von ihrem High School-Leben im kalifornischen Berkeley und sind dabei so autobiographisch ehrlich, dass keine Peinlichkeit ausgelassen wird. Alte und neue FreundInnen, Schulstress, Konzerte, Parties, Alk- und Kiffgelage, Streit mit Eltern und Schwester, Verwirrung über die sexuelle Orientierung - nichts wird ausgelassen und alles ist so wahr und doch so ironisch erzählt, dass man sich dauernd an eigene Erlebnisse erinnert fühlt und gerne "ja ja genau!" schreien würde.
Ariel, die schon als Teenager zu zeichnen begann und mit ungefähr 15 Jahren ihr erstes Heft "Awkward" (über das erste High School-Jahr) beim renommierten Indie- Verlag "Slave Labor Graphics" veröffentlichte, studiert mittlerweile an der Columbia University in New York. Ihr Zeichenstil, der im ersten Heft noch ziemlich cartoonig ist und an den Stil von Sprayer-Tags erinnert, macht von Awkward über Definition bis zu Potential, der letzten Veröffentlichung, eine deutliche Entwicklung durch - am Ende gibt es in den einzelnen Panels (Kästchen) haufenweise Details, die Perspektive und die Linien sind klarer, der Strich sicherer. Was aber eigentlich vollkommen egal ist, denn was ich an ihren Comics so schätze - neben den supersüßen Figuren und den unglaublich expressiven Augen - ist die entwaffnende Offenheit, der Mut zur Peinlichkeit, das Lebendige und Nachvollziehbare der Geschichten.
Und natürlich die szenige, hippe Northern California Community, die sie beschreibt! Da kann man schon neidisch werden, wenn sich Ariel und ihre Süße Sally von ihrer Kunstlehrerin Ms. Salt, die in der Schule unauffällig-spießig ist, sich nachts aber in "a wild, popular dyke scenester" verwandelt, die Verwendungsmöglichkeiten eines Dildos erklären lassen und nach dem Butchies-Konzert in San Francisco von ihr zum Auto begleitet werden. Oder wenn Sally und Ariel als Pärchen zur Prom antreten, dem offiziellen Abschlussball, zu dem normalerweise nur Männlein und Weiblein gemeinsam gehen. Oder bei all den Parties, auf denen wild rumgeknutscht und -gefummelt wird, so dass man manchmal beinahe den Überblick verliert, wer jetzt mit wem und überhaupt?
Es werden aber auch andere Töne angeschlagen, wenn Ariel z.B. von ihrer großen Liebe, der Biologie, spricht, und eigentlich ständig ihr Biobuch mit sich herumschleppt, oder wenn die auseinanderfallende Ehe ihrer Eltern und die angespannte Situation zu Hause beschrieben werden. Besonders zu Ende des Potential-Sammelbandes steht das Partymachen nicht mehr so im Vordergrund, sondern eher die schwierige, zermürbende Beziehung zu Sally und die bevorstehende Scheidung der Eltern. So wie die Person Ariel Schrag machen eben auch ihre Geschichten eine Entwicklung durch - ich möchte keine Sekunde von ihrem Leben verpassen.
Wenn ihr euch in eurem Leben nur einen einzigen Comic kauft, kauft etwas von Ariel Schrag. Ihr werdet verstehen, warum.
Alle Comics von Ariel Schrag (Awkward, Definition, Potential) sind bei Slave Labor Graphics erschienen. The Potential Collection kann man auch bei amazon bestellen. |
fm4.orf.at mai 01