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Simone de Beauvoir
 
Sie gilt vielen als herausragendste Intellektuelle des 20. Jahrhunderts. Orange Press hat Simone de Beauvoir jetzt einen Band der absolute-Reihe gewidmet.
(2004.07.20, 16:48)

Die Frauen werden gewinnen

Simone de Beauvoir ist heute die wohl Frau, die man weltweit am stärksten mit dem Begriff Feminismus in Verbindung bringt. Einen vergleichbaren Symbolwert als Feministin hat höchstens, das allerdings auch nur im deutschsprachigen Raum und meistens auf polemischer Ebene, Alice Schwarzer. Dabei war die französische Philosophin und Autorin Simone de Beauvoir (1908-1986) in puncto Feminismus quasi eine Spät-Erweckte, denn in ihrer ersten Lebenshälfte beschäftigte sie sich vorwiegend mit der Philosophie der Befreiung und der Theorie des Existenzialismus. Aufsatzsammlungen wie der 1948 erschienene Band "Der Existenzialismus und die Weisheit der Nationen" mit moralphilosophischen Überlegungen zur Ambiguität menschlichen Handelns, die auch unter dem Eindruck ihrer Freundschaft mit dem Chef-Existenzialisten Jean-Paul Sartre entstanden, scheinen heute von vernachlässigbarer Bedeutung. Obwohl Beauvoir sicherlich nach wie vor in vielen philosophischen Nachschlagewerken nur als Schülerin Sartres angeführt wird, die viel zur Verbreitung der Theorie des Existenzialismus beigetragen habe, hat sich die Situation heute umgekehrt: Während Sartre mit seinem nihilistischen Existenzialismus hauptsächlich als kanonisiertes Kapitel der modernen Philosophiegeschichte in Lehrbüchern verstaubt, werden die Thesen seiner Partnerin heute weiterhin fleißig und produktiv rezipiert und weiter entwickelt.

Privilegien auf dem Prüfstand

Im von Florence Hervé und Rainer Höltschl herausgegebenen Band zu Beauvoir in der absolute-Reihe, der geschmeidig in der Hand liegt und mit seinem glänzendem Papier, ausgewählten Fotos und silbernem Inneneinband schlicht schön aufgemacht ist, kann man zurückverfolgen, wie sie, eigentlich eher per Zufall, zur Ikone des Feminismus wurde. S de B, wie sie in amerikanischen College-Zirkeln oft so salopp wie liebevoll abgekürzt wird, äußerst selbst, dass sie als gebildete Bürgerstochter so privilegiert war, dass sie sich selbst nie aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt gefühlt habe: "Ich hatte männliche Werte sehr früh in meinem Leben akzeptiert und nach ihnen gelebt. Natürlich war ich beruflich ziemlich erfolgreich, was mich in meinem Glauben bestärkte, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sein können, wenn Frauen diese Gleichberechtigung nur wollten", erklärt sie 1976 in einem Interview mit John Gerassi, das den ersten Beitrag des Buches stellt und einen hervorragenden Auftakt bietet. Doch bei der Recherche für ihr monumentales, bedeutendstes Werk "Das andere Geschlecht" wurde ihr bewusst, dass sie durch ihre Kollaboration mit der männlichen "Klasse" Privilegien genoss, die Frauen aus anderen sozialen Schichten von vornherein verschlossen waren: "Als ich ‚Das andere Geschlecht’ schrieb, wurde mir bewusst, dass meine Privilegien aus der Tatsache resultierten, dass ich meine Weiblichkeit - in mancher Hinsicht zumindest - verleugnet hatte." Vorher hatte sie die Tatsache, "dass eine Sekretärin niemals in den Genuss solcher Privilegien kommen konnte", einfach verdrängt.

Das andere Geschlecht

"Le deuxième sexe", das ganz korrekt auf deutsch übersetzt eigentlich "Das zweite Geschlecht" heißen müsste, war ein Meilenstein der Frauenbewegung. Ein vorweggenommener allerdings, denn das Werk war seiner Zeit schlicht um einiges voraus. Erst in der beginnenden zweiten Welle der Frauenbewegung in den 60er Jahren wurde das Buch wieder entdeckt, und auch Judith Butler, die Geschlechterdekonstruktions-Queen der 90er, griff sich den meistzitierten Beauvoir-Satz "Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht" als Konstruktionspunkt für ihre Theorie von den sozial angelernten Geschlechterrollen.

"’Das andere Geschlecht’ durchleuchtet die Situation der Frau im Laufe der Jahrhunderte und analysiert systematisch die Faktoren, welche für die Unterdrückung der Frau verantwortlich sind", heißt es auf S. 71 des absolute-Bandes über das 900-seitige Werk. Simone de Beauvoir weist die damals als gültig erklärten psychoanalytischen Modelle zur Inferiorität der Frauen, die wesentlich auf Freuds Theorie des Penisneides basierten, zurück und zieht stattdessen als Erste eine Parallele zwischen der Situation von Frauen und Schwarzen - beide würden aufgrund ihrer gesellschaftlich konstruierten "Andersheit" an den Rand gedrängt. Desweiteren untersucht Beauvoir die Mythen, aus denen sich das patriarchale Bild der Frau speist, und verweist darauf, dass die ökonomische Unabhängigkeit unerlässlich für die weibliche Emanzipation ist.

Simone und Jean-Paul

Auch wenn die biologistischen Erklärungen zum unterschiedlichen Sex Drive von Männern und Frauen vom heutigen Standpunkt aus natürlich überholt sind, war "Das andere Geschlecht" eine wichtige Untersuchung zu den Gründen für die Diskriminierung einer Hälfte der Gesellschaft. Aber neben dieser großen theoretischen Leistung schrieb de Beauvoir auch Romane ("Sie kam und sie blieb", "Die Mandarins von Paris" etc.), in denen sie zum Teil auch ihre lebenslange freundschaftliche Liebes-Beziehung zu Sartre thematisierte, den sie 1929 kennen lernte. Diese bis zu Sartres Tod andauernde, intensive Partnerschaft war aufgrund der vor allem von Sartre ausgelebten Dreiecksverhältnisse oft äußerst schwierig, gilt aber auch heute noch für viele als Modell einer aufgeklärten, befreiten Mann-Frau-Beziehung. Allerdings nahm Simone für diese Lebensliebe den Verzicht auf erfüllende (auch sexuelle) Zweisamkeit auf sich - so konnte sie sich nie dazu durchringen, Sartre für ein stabiles Verhältnis zu ihrem amerikanischen Geliebten Nelson Algren zu vernachlässigen.

Den Mythos Mutterschaft zerstören

S de B und Sartre waren auch auf einer politischen Ebene sehr engagiert. Während Beauvoir in der französischen Résistance nicht aktiv war, protestierte sie umso stärker für die Unabhängigkeit Algeriens und gegen den Vietnamkrieg; sie unterstützte die StudentInnenproteste von 1968 und in den 70er Jahren wurde sie Teil der Frauenbewegung. 1970 veröffentlichte sie ihr Werk "Das Alter", in dem sie einen sehr pessimistischen, schonungslosen Blick auf die biologischen und kulturellen Lebensumstände im Alter wirft. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1986 nahm sie regen Anteil an aktuellen Fragestellungen, und wenn man heute die radikalen Äußerungen aus ihrem Interview mit John Gerassi liest, haben diese nichts von ihrer Dringlichkeit und Aktualität eingebüßt. Über oberflächliche Reformen, die nur eine äußerliche Gleichberechtigung von Frauen anstreben, ohne sexistische gesellschaftliche Denkmuster umzuwälzen, sagt sie:

Der Kapitalismus kann sich natürlich erlauben, Frauen in die Armee eintreten zu lassen, Frauen in die Polizei aufzunehmen. Der Kapitalismus ist auch intelligent genug, Frauen an der Regierung teilhaben zu lassen. [...] All das sind nur Reformen [...] Das gesamte Wertesystem einer Gesellschaft umzustürzen, den Mythos Mutterschaft zu zerstören: Das ist dagegen revolutionär. Eine Feministin, ob sie sich als links bezeichnet oder nicht, ist per definitionem eine Linke. Sie kämpft für totale Gleichberechtigung, für das Recht, genauso wichtig und relevant zu sein wie ein Mann. Dieser Kampf beinhaltet automatisch ihre Forderung nach Gleichheit der Klassen.

Und das Interview mit Gerassi schließt mit folgenden Worten Simone de Beauvoirs: "Ich weiß nicht, ob es eine Revolution geben wird. Aber was die Veränderungen betrifft, für die Frauen kämpfen, ja, da bin ich mir sicher, auf lange Sicht werden die Frauen gewinnen." | fm4 juli 04
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