plastikmädchen
texte zu feminismus und popkultur
 
musik

buch

comic

film/tv

mädchen

alltag

wer

was


home


xml version of this page
Habe ich so schon in den 80ern in der Brigitte gelesen
 
Ich gehöre also, per Geburtenjahrgang, zur Generation Ally? Warum ich aus dieser Zwangsumarmung sofort raus will.
(2002.11.07, 18:47)

Nachdem FAZ-Mann Florian Illies zunächst retrospektiv und mit viel bürgerlicher Markennostalgie die Generation Golf als Lifestyle-Klammer über alle in den 80ern Sozialisierten gepappt hatte, sind bei Katja Kullmann, ebenfalls FAZ-Autorin, nun speziell die Frauen dieser Epoche dran. Diese Frauen um die 30 werden, so Kullmanns innovative Eingebung, am ehesten durch die amerikanische Serienheldin Ally McBeal mit ihrem kindlich-chaotischen Zaudern zwischen privatem und beruflichem Glück repräsentiert. "Keine Frauengeneration vor uns war so gut ausgebildet, aufgeklärt und 'befreit' wie wir, die zwischen 1965 und 1975 Geborenen, die Töchter der Emanzipation. Und trotzdem sind wir nicht wirklich glücklich". Es ist aber auch nicht leicht, "seinen Platz zu finden auf dem Jahrmarkt der Lebensstile", wenn man, so wie wir Zwangs-Allys laut Diagnose der Autorin, weder "Karrieremonster, Backpflaumenexistenz, Tittenwunder" oder gar, igitt, Lesbe werden möchte ("Schwul sein ist heutzutage nur ein Lifestyle von vielen", räumt die Autorin verständnisvoll ein, Lesbisch sein offensichtlich nicht mal das).

Auf diesem Reflektionsniveau hangelt sich die ehemalige PRINZ-Redakteurin durch freudlose Binnenlandschaften von abgestandenen Geschlechterklischees à la Kosmetikerinnen versus Fußballern, dumpfen Pauschalurteilen über Luder und Unterschichtfrauen, und nicht gerade aufrüttelnden Einfamilienhaus-Mittelstandsmemoiren zwischen Flaschendrehen, Formel Eins und Esprit-Sweatshirts. Dabei gelangt sie zu so überraschenden Einsichten wie jenen, dass Frauen heutzutage zwar durchaus bis zu einem gewissen Punkt Karriere machen können, dass dabei aber das private Glück oft auf der Strecke bleibt. Das liegt daran, dass Frauen neben der Maloche im Job auch nach wie vor fast die ganze Haushalts-, Beziehungs- und auch Kinderarbeit, wenn sie sich denn zur Anschaffung eines Blags durchringen können, leisten müssen. Habe ich, glaube ich, genau so auch schon in den 80ern in der Brigitte gelesen, bloß kamen da noch keine Caipirinhas und Carhartt-Jeans vor. Zwischenzeitlich blitzen kurz gute Ansätze auf, wo die Autorin sich aus der getrademarkten Politisierungsapathie hochreißt und beispielsweise fordert, dass beide Elternteile sich zu 50% um den Nachwuchs kümmern müssten, um endlich die mit erfolgter Reproduktion einreißenden Ungleichheiten zu beseitigen. Doch gleich drauf verpufft alles in einem jämmerlichen "Protest wäre nötig (...) Aber das ist nicht unser Gebiet."

Jesus H. Christ, will man dieser resignierten Lifestyle-Tante durch ihren Bleiletternwald zurufen, vielleicht hättest du bei deinen swiften und für eine Journalistin reichlich uninformierten Aburteilungen des männerfeindlichen, unappetitlichen Feminismus doch ein bisschen tiefer graben sollen. Dann wärst du wahrscheinlich nicht mehr so erstaunt ob der selbstverständlichen feministischen Coolness einer Charlotte Roche und hättest schon mitbekommen, dass man Emanzipation nicht auf Medienklischees wie lila Latzhosen und asymmetrische Frisuren beschränken kann, sondern dass es glücklicherweise eine ganze Horde junger Frauen und Männer gibt, die ziemlich funky an Antworten auf die von dir larmoyant vorgetragenen Paradoxa im Leben dieser Allys und Billys arbeiten. Aber vielleicht meint sie das alles gar nicht so, was sie da wertkonservativ und mit letztendlich patriarchalem Blick über Boxenluder, Männerhasserinnen und Karrieretussis schreibt. Möglicherweise ist das nur ein überzogenes Sittenbild einer vermeintlichen Frauengeneration, das uns aus der Lethargie aufrütteln soll. Immerhin sagt K.K. im Prinz-Interview: "Ich will, dass Frauen mein Buch lesen und sagen: 'Ja, Scheisse, so habe ich auch mal gedacht.'" Scheisse, ich aber nicht. Deswegen will ich mich auch aus der Zwangsumarmung durch die anorektische Ally befreien und bitte nicht bei dieser Antibewegung dabei sein müssen. Kann ich nicht lieber Teil der Generation Charlotte oder so werden, wenn die demnächst ausgerufen wird?

Katja Kullmann: Generation Ally. Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein. (Eichborn, 224 Seiten, 14,90 EUR) | intro apr 02
kontakt