The Lady is a Grrrl
"Sie sind weiblich, sie sind jung, sie sind wütend und... sie sind Riot Grrrls". So oder ähnlich clueless klang es, wenn Anfang der 90er in Mainstreammedien übereilt und trendgeil über Riot Grrrl berichtet wurde. Wo aber steht Rebel Girl heute?
(2002.07.26, 20:02)
Ta-ta-tam. Anfang der 90er Jahre gibt es einen Riesenmedienwirbel um das nächste große Ding aus Amerika. Alle Mainstreammedien von USA Today bis Spiegel springen auf den Zug auf, um endlich mal wieder ganz dicht dran zu sein an der Taufe eines neuen Popphänomens. Gerade erst mit Grunge beglückt, sind die Augen noch forschend auf den Nordwesten der USA gerichtet und rutschen jetzt nach Olympia, Washington - nette Kleinstadt mit liberalem College und - ?Sie sind weiblich, sie sind jung, sie sind wütend und... sie sind Riot Grrrls". So oder ähnlich clueless klang es, wenn solcherorts übereilt und trendgeil über Riot Grrrl berichtet wurde. Jetzt klingt es medial gar nicht mehr oder ganz leise, und genau deswegen wollte Sonja Eismann wissen: Wo steht Rebel Girl heute?
Die hysterische Presseaufmerksamkeit, die für die Öffentlichkeit ein Phantombild der wütenden Mädchenbewegung aufblies, das wenig mit tatsächlichen Praktiken und Anliegen der Frauen zu tun hatte, war mit dafür verantwortlich, dass
Riot Grrrl als Stil ganz schnell aus der Massenwahrnehmung wegkippte. Nicht politischer Aktivismus, Vernetzung von Frauenprojekten und die Produktion von Musik und Kunst standen im Zentrum der media craze, sondern von Anfang an nur eins: Identität, Identität und nochmal Identität. Was letztlich durchkam durch verfilzte Rezeptionsschichten, war das Bild von revoltierenden jungen Gören in zerfetzten Babydolls, die sich "Slut" oder "Whore" auf die Bäuche geschmiert hatten und dilettantisch auf Instrumente einhackten. Körperrepräsentationen standen monolithisch im Vordergrund, denn klar, mann will ja auch lieber eine junge Nacktbäuchige imaginieren als über Musik und Aktivismus lesen. Die ständige Infiltration der Riot Grrrl Conventions von neugierigen JournalistInnen führte schon im Herbst 92 zu einem "media blackout", also einem Auskunftsboykott gegenüber den Medien, denn die Mädchen hatten es satt, persönliche und intime Äußerungen, die im Rahmen von Grrrl Gatherings vorgebracht wurden, tags drauf in Tabloids wiederholt zu sehen. Durch die beharrlichen Interventionen der Presse splittete sich die Bewegung in zwei lose Fraktionen: Kontakttotalverweigererinnen und solche, die dem Dialog trotz allem positives Potenzial zugestanden. Diese ständige Belagerung führte jedoch zu einer schnellen Desintegration der Bands, so dass sich bereits Mitte der 90er die meisten Gruppen aufgelöst hatten.
Aufgelöst, aber nicht in Luft. Das Label Riot Grrrl, das aus der eigenen Definitionsmacht der Frauen rausgekidnapped wurde, ist - ohne Desavouierung - fallen gelassen worden, um limitationslos in freieren, nicht vordefinierten Flächen agieren zu können. Okay, stop, Riot Grrrl ist nicht abgetaucht, um mit den gleichen Konzepten unter der Mediendecke als Frauengeheimloge mit identen Strategien agieren zu können, dazu hat sich in den letzten zehn Jahren zu viel geändert. Der kreative Impetus der Anfangszeit ist noch spürbar drin, aber er hat sich verästelt und ist in verschiedene Richtungen gewachsen. Wo Riot Grrrl schlicht Revolution Girl Style Punkrock war, schnappen jetzt Sleater-Kinney mit ihren sophisticateden Gitarren- und Gesangsnabelschnüren und Le Tigre mit ihrer Elektronik-Explosion den KritikerInnen die zuschreibenden Worte aus dem Mund, stoßen dabei in ungeahnte Marketingsegmente vor (Sleater-Kinney verkauften "The Hot Rock" angeblich 150 000 mal) und bleiben dabei aber doch immer eins: feministisch, ihren Wurzeln treu. So, jetzt ist auch dieses Wort raus, das unter allem drunter liegt wie ein weiches Bettchen, aber immer noch genug Rote-Tuch-Qualitäten hat, um Zögern vor einer universellen Anwedung zu generieren. "Nachdem Riot Grrrl vor fast 10 Jahren auf den Plan getreten ist, geht hier einiges bei Frauen in Musik, Kunst und Politik - warum also mühevoll nach einem Etikett suchen, das dann wieder von irgendwem in die Tasche gesteckt wird? Ich nenne es am liebsten einfach Feminist Movement, denn wir bewegen uns ja", sagt Tammy Rae Carland, Ex-Bandmitglied von Kathleen Hanna und Labelbetreiberin von
Mr. Lady.
Einen ironischen Umgang mit der Etikettierung von dem, was aus Riot Grrrl entstanden ist, fand das
Ladyfest, das vom 1.-6. August 2000 in Olympia stattfand und mit Auftritten von Sleater-Kinney, Bratmobile, den Butchies und vielen anderen einen brillianten Überblick über den state of the (re)union gab: was war, was ist und was wird in all things girl, woman and lady. "Ladyfest is a big fuck you to the culture that wants to keep us bare breasted and quiet. We have our shirts on. We have mouths. We have things to say" schreibt Faith Gundran im Vorwort des in punkiger Cut and Paste-Ästhetik gehaltenen Programmhefts zum "woman-run" Festival zu Musik, Kunst, Film, Show, Theorie und Praxis. Welch ein Glück, dass der Hype schon in den 90ern zu seinem Ende gebracht worden ist - denn in der Capitalist Killing Culture werden Erscheinungen nur einmal upgehyped, um dann vollständig totgesagt und aus dem Bild radiert zu werden, wie Tammy es beschreibt -, sonst könnte ich schon JournalistInnen-Fragen anklingeln hören: Sind die Riot Grrrls jetzt also erwachsen geworden? Vom ungestümen Girl zur wohlüberlegten Lady?
Der Name ist natürlich ein Scherz, ein ernstgemeinter zwar, der voreiligen Eingrenzungen den Wind aus den Segeln nehmen will, aber trotzdem eine Übertreibung des Unmöglichen. Nachdem Lady für ultra-feminine Oberschichtfrauen steht und eigentlich aus dem feministischen Vokabular verbannt war, wird da dem Umdeutung-Approprierungs-Spielchen einmal kräftig über die Schulter gelacht und das Ganze zum Exzess geführt. "This name debate is boring. How could we ever decide what to call ourselves, when we can?t decide what we are? And we don?t want to. So we won?t". So steht?s im Ladyfest-Programm, und so einfach ist?s.
Tammy Rae spielt entrüstet, lacht und schreit: "They stole that name from me!" Vor Jahren schon hat sie sich in einem Fanzine darüber ausgelassen, dass sie zum Terminus "girl" altersmäßig nicht relaten kann und deswegen lieber "lady" genannt wird, weil Lady Respekt bedeutet. Deswegen hat sie auch ihr Label, das sie mit ihrer Freundin Kaia Wilson (früher Team Dresch, jetzt Butchies) in North Carolina betreibt und auf dem hauptsächlich "queer and/or feminist" Musik und Videos veröffentlicht werden, Mr. Lady genannt. Das Gender Play ist dabei offensichtlich, wie auch bei Kaias Soloalbum "Ladyman" oder Sleater-Kinneys aggressiv-ironischer ?Ballad of the Ladyman", aber der gehäufte Gebrauch von "Lady" bringt darüber hinaus auch ein erweitertes Selbstverständnis zum Ausdruck.
Während beim grollenden Grrrl die kämpferische Wiederaneignung eines pejorativen Begriffes im Vordergrund stand, lehnen sich die Ladies jetzt zurück und lächeln amüsiert darüber, wie alle an diesem zu smoothen Begriff abrutschen. Auch wenn den Riot Grrrls ein nahezu paranoider Umgang mit der Presse vorgeworfen wurde, der verhindert hätte, dass zumindest eine aus ihren Reihen als Star groß genug gemacht worden wäre, um jungen Mädchen via Massenmedien ein Role Model zu sein, so haben sie doch durch den jahrelangen Beschuss einen gelasseneren Umgang mit der Öffentlichkeit gelernt. Das Starsystem lehnen alle der noch aktiven Protagonistinnen nach wie vor als inhärent kapitalistisch ab, aber eine Kooperation mit dem Rockmuseum in Seattle, das ein Forschungsprojekt zur Dokumentation der Riot Grrrl-Bewegung finanziert, war im Grunde sogar ausschlaggebend für die Idee zur Planung des Ladyfests: ?Letzten Winter kamen einige von uns bei Interviews für das "Experience Music Project" des Rockmuseums zusammen, und da viele von uns seit dem Beginn von Riot Grrrl nicht mehr gemeinsam in einem Raum gewesen waren, hatten wir die Idee, wieder etwas auf die Beine zu stellen - und zwar da, wo alles angefangen hat", erinnert sich Allison Wolfe von Bratmobile.
Sarah Dougher, früher bei den Lookers und jetzt bei Cadallaca und solo aktiv, war es wichtig, mit dem Ladyfest sich selbst und andern zu zeigen, dass Riot Grrrl und damit radikalfeministische Organisation und Produktion, in welcher Form und unter welchem Namen auch immer, alive and well sind. Vor allem in Zeiten wie diesen, wo misogyner Schwanzrock bei den Jugendlichen wieder de rigeur ist und auf Veranstaltungen wie der Warped Tour Mädchen grölend aufgefordert werden, ihre Titten zu zeigen und im schlimmsten Fall sogar vergewaltigt werden, wie bei Woodstock 99. Das Entsetzen über ein Klima, in dem solche Vorfälle möglich sind, war sicherlich auch ein Motor für die Organisation des Ladyfestes. Trotzdem hat sich auch einiges in positivere Gefilde verschoben in der Art, wie Frauen heute in den USA in der "Untergrundmusikszene" präsent sind. "Heute können wir bei den großen Magazinen anrufen und sagen, hey, wir machen ein Frauenfestival, ihr müßt darüber berichten, und alle kommen!", erzählt Sarah. "Früher hätte es noch geheißen: Who are you?! Diese Repräsentationsmacht haben wir jetzt in der Hand, und das ist ganz schön aufregend". Über mangelndes Interesse bei der nachwachsenden Generation können die Lady-Grrrls auch nicht klagen, denn, so Sarah, "es waren viele Mädchen hier, die Bikini Kill nie live gesehen haben, weil sie damals erst zehn waren!"
Ein größeres Problem als die Präsenz des Jungvolks ist vielmehr der Brückenschlag zwischen den Jüngeren und den Älteren, um die vielbeschworene "Generation Gap" zwischen den Feminismen der 70er und 90er zu schließen. In Theorie-Workshops auf dem Ladyfest wurde die Kluft zwischen den sogenannten Second und Third Wavers deutlich sichtbar, und es wurde sogar in übereilter Euphorie über das gelungene Fest die Fourth Wave des Feminismus ausgerufen. "Was ist mit der dritten Welle passiert, ist sie auf einmal vertrocknet?" ist Tammys lakonischer Kommentar dazu, und sie fügt an, dass diese zutiefst kapitalistische Notion vom Alten als Schlechten und Überflüssigen sie genauso frustriert wie die abwertende Wortprägung "post-riot grrrl" zu Kathleens und S-Ks Releases. Nun gut, die problematische Innendynamik von linken Bewegungen kennen wir ja, aber auch wenn die späten 90er Jahre uns eher mit klassischen Singer-Songwriter Women wie Schmuse-Jewel oder Rock-Alanis beliefert haben, so kann man - mindestens - sagen, dass Riot Grrrl einen wesentlichen Anteil daran hatte, dass feministische Issues Eingang in den Mainstream gefunden haben. Schön, dass sie noch da sind und, ach... riot on, ladies! |
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