Alles wird nicht gut
Karen Duve zeichnet in ihrem zweiten Roman "Dies ist kein Liebeslied" eine mögliche universelle weibliche Biografie nach. Und begeistert damit.
(2003.01.12, 18:14)
Was für eine Überraschung. Dass sich
Karen Duve nach ihrem letzten, zugegebenermaßen gelungenen und von der Kritik herzlich gelobten "Regenroman" umdreht und wieder in die Richtung losmarschiert, die sie bei ihrem davor veröffentlichten Kurzgeschichtenband "Keine Ahnung" eingeschlagen hatte, hat mich gleichermaßen erstaunt wie erfreut. Nicht, dass dem Regenroman etwas vorzuwerfen gewesen wäre, aber die fantastisch abgehobene und leicht gruselige Geschichte des verfallenden Moorhauses und -Paares bietet bei weitem nicht so viel Projektionsfläche und Identifikationspotenzial wie das im Herbst veröffentlichte "Dies ist kein Liebeslied".
Wo beim Regenroman die Künstlichkeit der Figuren und Situation überall deutlich zu spüren ist, schimmert beim aktuellen Roman die Konstruktion einer möglichen universellen weiblichen Autobiografie an allen Ecken und Ende durch. Wobei eigentlich vollkommen egal ist, ob Karen Duve diese Coming-of-Age-and-after-Dramen selbst erlebt hat - wie Parallelen zu einer Geschichte in "Keine Ahnung" und ihrem Lebenslauf suggerieren - oder ob das alles treffsicher aus der Luft fabuliert ist, denn dieses Gebeuteltwerden von Schlank- und Schönheitswünschen und verunsicherter Ziellosigkeit, die gerne durch Fixierung auf Männer ausgetrieben werden möchte, ist wohl an keiner weiblich sozialisierten Person einfach so vorbeigezogen - da sind allein schon die Frauen- und Mädchenzeitschriften vor.
In "Dies ist kein Liebeslied" macht sich die mittlerweile ziemlich übergewichtige Ich-Erzählerin Anne Strehlau auf den Weg nach London zu einem letzten Besuch bei ihrer großen Jugendliebe Peter. Dabei berichtet sie in langen Rückblenden von den vielen Fehlschlägen beim Aufwachsen, Mögen, Lieben und Lieben lassen, die auch mit zunehmenden Alter nicht besser werden. Es wird nur en passant klar, dass der Dreh- und Angelpunkt des Romans der Ex-Indieboy und jetzige Managertyp Peter ist, in den sich die Protagonistin vor allem deshalb verliebt, wie sie selbst sagt, weil er sich genau wie ihr distanzierter und depressiver Vater nicht für sie interessiert. Was um diese verkrachte Liebesgeschichte, die nie eine war, drumherum passiert, skizziert das deprimierend-durchschnittliche Leben eines Mädchens, das im nordeutschen Suburbia aufwächst und mit wackligem Selbstwertgefühl und ohne Ansporn, eigene Interessen zu entwickeln - sogar ihre Musikbegeisterung bleibt immer passiv und wird nur durch oberschlaue, Tape-aufnehmende Boys genährt - durch Adoleszenz und ewige Postadoleszenz stolpert.
Die kleine Anne hat keine FreundInnnen, macht sich schon früh Gedanken um Bindegewebe, wabblige Oberschenkel und dicke Pos, hasst den Sportunterricht und kann auf Kommando krank werden. Die Typen, mit denen sie sich später einlässt, sind meistens ganz normale Pubertäts-Widerlinge oder Langweiler, an denen sie nur deren Interesse an ihr und der durch die Beziehung verbundene soziale Aufstieg auf der Coolheitsskala reizt. "Mir war vollkommen egal, wer mich küssen würde, es sollte bloß ein Junge sein, in den möglichst viele von den anderen Mädchen verliebt waren." Küssereien und später auch Sex mit diesen tumben Teenagern hören sich nach unangenehmen Pflichtübungen an, und auch sonst bietet das Leben in der Nähe von Hamburg nicht viele Freuden: Misserfolge in der Schule, Arbeiten in einer Hundeleinenfabrik, wobei ordentlich Appetitzügler eingeworfen werden, zum Aufputschen und Abnehmen, Tanzen in der Indie-Disco. Selbst nach der Schule ändert sich nicht viel, die Roman(anti)heldin interessiert sich für nichts, schafft nichts, fährt Taxi, lässt sich psychotherapieren und schlittert von einer schlecht funktionierenden Beziehung in die nächste.
Das Wunderbare an Karin Duves sprödem Stil ist, dass trotz dieser tristen Vita, zu der keine Besserung in Aussicht gestellt wird, die Erzählweise nie ins Mitleidige oder Frustrierende kippt, sondern viel eher allgemein nachvollziehbar wird und auf trockene Weise auch belebend witzig wirken kann. Hier wird eben nicht das Frauenzeitschriften-Selbstverbesserungs-Ideal propagiert, das neuerdings verspricht, dass auch der rechte Mann dann lieben wird, wenn man sich nur selbst widerwillig mit all den Imperfektionen akzeptieren kann, sondern es bleibt alles aussichtslos und ist trotzdem zu ertragen.
Karen Duve: Dies ist kein Liebeslied.
Eichborn Berlin 2002. |
intro nov 02