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Boygroup der ersten Stunde
 
Die Musikjournalistin Caroline Sullivan erinnert sich in ihrem Buch "Bye Bye Baby" amüsiert an ihre tragische Liebesaffäre mit den Bay City Rollers, die leider ziemlich einseitig war.
(2002.07.26, 20:04)

"Ich habe sie verzweifelt geliebt. Vier Jahre lang lebte ich nur für sie. Dies ist keine hübsche Geschichte", schreibt die in amerikanische Musikjournalistin Caroline Sullivan in ihrem soeben auf deutsch erschienenen Buch "Bye bye Baby. Meine tragische Liebesaffäre mit den Bay City Rollers". Und obwohl Sullivan den aufreibenden Alltag eines Vollblut-Groupies zwischen nervenzerfetzenden Verfolgungsjagden und "post passion depressions" nach den hart erkämpften, raren tête à têtes minuziös beschreibt, überwiegt doch der augenzwinkernde, selbstironische Ton, der aus gut zwanzig Jahren Distanz und ihrer Position als renommierter Musikkritikerin beim britischen "Guardian" resultiert. Auch wenn man ihre Besessenheit mit der Band, die sie selbst als Produzenten von "schwachbrüstigem Teenie-Pop" bezeichnet und an die sich heute kaum mehr jemand erinnert, in jeder Zeile spüren kann - oft zitiert sie Passagen aus ihrem Mädchentagebuch -, nähert sie sich ihrer damaligen Manie mit so viel schnoddrigem Humor, dass das Lesen zu Großteilen ein reiner Kicher- und Brüllgenuss ist. Denn ihre Begeisterung für die unbedarften Schotten, die in unsäglichen Karouniformen auftraten und auf Anweisung des Managers in der Öffentlichkeit bevorzugt Milch tranken, erkennt manch eine als übersteigerte Form der für viele Mädchen typischen Teenie-Schwärmerei für möglichst unerreichbare Exemplare des (meistens) anderen Geschlechts wieder.

Und wie so viele Mädchen, die sich nach dem begehrtesten Sport-Trottel der Schule verzehren, obwohl sie genau wissen, dass er eigentlich doof und noch dazu unerreichbar ist, ist sich Caroline Sullivan auch immer genau der Unzulänglichkeiten ihrer Idole bewusst: sie bemerkt gleich, dass es um ihre musikalischen Fähigkeiten ziemlich dürftig bestellt ist und dass sie überhaupt recht gewöhnlich wirken. Ich habe mich oft gefragt, nach welchen Mechanismen Mädchen Fans von Boygroups werden und ob die Auswahl nicht völlig von Zufälligkeiten bestimmt ist; Caroline Sullivan untermauert diese Vermutung, wenn sie schreibt: "Ich kann immer noch nicht ganz verstehen, warum ich an einem Tag im Jahr 1975 die Howard-Coswell-Show guckte, die Bay City Rollers sah und ihnen sofort verfiel. Es erscheint mir so willkürlich, dass ich fest davon überzeugt bin, hätte ich sie zwei Tage vorher oder vier Tage später gesehen, hätte ich sie kaum wahrgenommen."

Nachdem sie nun aber vom Rollers-Fieber gepackt ist, wird dies vor allem durch ihr Bündnis mit anderen Mädchen am Leben gehalten, die sie bei Konzerten kennen gelernt hat, da sie ebenso wie sie eigentlich mit ihren 16+ schon zu alt sind für die kreischende Fanrolle, von der sie sich immer wieder distanzieren. Trotzdem finden sie mit ungeheurem Aufwand und raffiniertester Ausgebufftheit Hotel- und Flugreservierungen der Band heraus, jagen ihnen mit quietschenden Reifen durch die halb Amerika hinterher, feiern Geburtstage der Bandmitglieder und sprechen sich gegenseitig Mut zu. Obwohl sich die Mädchen eigentlich in einer Konkurrenzsituation miteinander befinden, da jede die Aufmerksamkeit der Musiker erringen will ("Wir wollten sie einfach besitzen - um jeden Preis"), entwickelt sich aus ihrem Fantum eine Solidarität, die eine wichtige Eigendynamik bekommt:

"Ursprünglich war unsere kleine Clique aus der Überzeugung entstanden, dass es zu mehreren einfacher sein würde, zu den Rollers vorzustoßen. In den ersten paar Monaten war die Band der Kitt, der die Tacky Tartan Tarts (der Name ihrer Fanclique, d. V.) zusammenhielt, aber als wie eine gemeinsame Geschichte bekamen, entwickelte sich etwas Dauerhaftes, das an Bedeutung beinahe mit den Rollers konkurrieren konnte. Es schafft eine starke Verbundenheit, wenn man im Januar um Mitternacht zusammen vor einem Hotel wartet, und schon diese gemeinsamen Erfahrungen zu machen wurde genauso wichtig, wie die Rollers tatsächlich zu sehen. Männer scheinen solche engen Bande, die durch gemeinsames Phantasieren und gegenseitiges Mutmachen entstehen, nicht zu knüpfen, und trotzdem haben sie den Nerv, über die Leidenschaft, die Mädchen an Teenidole verschwenden, zu spotten".

Der auch heute häufig gehörte Vorwurf, Anhängerinnen von Boygroups seien musikalisch total weichgespült und in dieser Hinsicht nicht ernst zu nehmen, wird von der Autorin durch ihre Biographie entkräftet. Neben der Hingabe an die Bay City Rollers, an denen sie Dinge wie ihr erfrischendes Lächeln und ihr süßes Powackeln schätzt, ist sie ein Musikfreak, der den Melody Maker und den Rolling Stone verschlingt und jede britische Punkband beim Namen kennt. Ihr Traum ist es, 'irgendwas im Musikbiz, am besten Journalistin' zu werden. Die angehimmelten Rollers sind so etwas wie ein Katalysator, um einerseits näher am verheißungsvollen Musikbusiness zu sein, andererseits füllen sie eine pubertätstypische Leerstelle mit Sehnsüchten auf, die noch nicht mit realen Beschäftigungen oder Beziehungen besetzt werden können oder sollen: "Irgendetwas sagte uns, dass diese fatalistische Hingabe eine einmalige Sache war, die nie wieder belebt werden konnte, wenn sie einmal verflogen war, und keine von uns war bereit, diesen Schlussstrich zu ziehen. (...) Rollerland war unsere Zuflucht vor dem Erwachsenendasein, das wir uns noch nicht zutrauten."

Nachdem die Autorin zwei Nächte mit einem der Rollers, dessen Identität sie nie eindeutig verrät, verbracht hat, über die (leider) keine genauen Details preisgegeben werden (hat sie oder hat sie nicht?), wobei er nach der zweiten morgens mehr Interesse für Duffy Duck im TV als für ihre Anwesenheit aufbringt, und nachdem sie den langsamen Abstieg der Band in die Bedeutungslosigkeit hautnah mitverfolgen konnte, ist sie eigentlich desillusioniert und vor allem alt genug, um den Traum endgültig fahren zu lassen. Doch wider alle Vernunft und Erfahrung wird sie immer wieder vom Rollers-Fieber gepackt und jagt der Band wie automatisiert hinterher. Auch Jahre später, als die Rollersphase endgültig abgeschlossen ist, kann sie es sich nicht verkneifen, für ein Interview über Teenie-Idole ihren damaligen Liebling der Band einzuladen und sich für ihn besonders 'hübsch' zu machen. Auch wenn sich die Machtverhältnisse zwischen der erfolgreichen Journalistin und dem glücklosen, abgehalfterten Musiker eindeutig umgekehrt haben, gibt es da immer noch diesen Kitzel aus Jugendtagen, der absolut unsinniges, gehaltloses und daher umso begehrenswerteres Glück verspricht, von dem man sich einfach nicht völlig trennen mag.

Caroline Sullivan schreibt mit ihrem flachsigen Buch das mitleidige Lächeln, das einen angesichts von Boygroup-Fans so oft befällt, einfach fort. Sie beweist nämlich, dass Mädchen hier durchaus auf autonome Weise für ihre Entwicklung Sinn produzieren und Solidaritätsgeflechte entwickeln, die wahrscheinlich weit tiefer gehen als das bonding von pubertäten Jünglingen, die im elterlichen Hobbykeller gemeinsam auf ihren Klampfen Coverversionen ihrer Heroes heruntergniedeln und sich in ihrer vermeintlichen Kreativität suhlen...

Caroline Sullivan: Bye Bye Baby. Meine tragische Liebesaffäre mit den Bay City Rollers. Argon 2001. | fm4.orf.at mai 01
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