She can take good care of herself
Cat Power wollen alle Indie-Boys gerne beschützen. Aber was, wenn die fantastische Songwriterin, trotz aller Zerbrechlichkeit in ihren Songs, diese Hilfe gar nicht braucht?
(2003.03.28, 19:37)
Cat Power ist so eine Künstlerin. Eine wie Beth Gibbons, oder auch Hope Sandoval, die alle in den Arm nehmen und trösten wollen, weil sie doch offensichtlich so verzweifelt und zerbrechlich leiden und sich nicht alleine aus ihrem schwarzen Loch befreien können. Auf ihren Konzerten verharren die Fans in devoter, ehrfürchtiger Starre und hören zwischen den Tönen immer wieder ein gehauchtes: "Rette mich! Rette mich, Prinz!". Was sich, aus genannter Ehrfurcht, verbietet. Aber: sweet indie-boy dreams are made of these...
Und wie ist das mit verweinten, feingliedrigen Typen wie Maxi Hecker - wer trocknet denen die Tränen? Und warum will niemand den beständig klagenden Will Oldham oder den abgrundtief verzweifelten Jason Molina in den Arm nehmen und ihnen begütigend über den Bart streichen? Jaha, da frage ich noch, und da sagt ihr mir schon: weil fast nur Männer über Musik schreiben, und weil denen ihr heterosexueller, paternalisierender Gestus fast immer nur zu Frauen einfällt. Böse ist das selten gedacht, denn diese Äußerungen kommen ihnen sicher wie der authentische Ausdruck eines ganz besonderen Gefühls und noch dazu wie eine Überhöhung des Objekts vor. Aber wie kommt das dann an?
"Yes I can take good care of myself!" meine ich, mit deutlicher Schärfe, von Chan Marshall a.k.a. Cat Power am Nebentisch zu hören, an dem sie gerade für ein "Männermagazin" interviewt wird, während ich angespannt auf mein Gespräch mit ihr warte. Nervös bin ich, weil ich selbst, nach einem nervenzerfetzenden, einer Kreuzigung ähnlichen Konzert in Hamburg vor knapp drei Jahren auf der "Covers Record"-Tour, nicht frei von dieser zittrigen Ehrfurcht bin und sie nicht aus dem Gleichgewicht bringen will. Und natürlich weil ich Fan bin, hingerissen von ihrem neuen, sechsten? Album "You Are Free", das alle Cat Powerschen Songwriting-Tugenden über 14 Songs mit einem stellenweise fast euphorisch positiven Gefühl umtobt und mir wie das Beste vorkommt, was sie je gemacht hat.
Als Chan dann zu mir rüberschlendert, anfangs immer noch aufgebracht über das unangenehme Interview, in dem sie nur vorgefertigte Stereotypen zu ihrer eigenen ach so fragilen Person ausfüllen durfte, ist sie sofort wahnsinnig freundlich und stopft mich mit kleinen Milka-Täfelchen voll, die sie begeisert vom Kellner erbittet. Ich kann mir den Gedanken nicht verkneifen, dass sie fan-tas-tisch aussieht (obwohl ich einen Mann für diese Beobachtung jetzt wohl geprügelt hätte, gender advantage, haha), mit ihren langen, leicht zotteligen Haaren, ihrem klaren Gesicht und ihrer absolut unprätentiösen Kleidung: grauer Schlabber-Sweater, unförmige Jeans und schwarze Bauernstiefel. Weil das Gespräch so völlig unkompliziert und angenehm voranschießt, frage ich ziemlich bald, wie es zur Beteiligung von Eddie Vedder und Dave Grohl am Album kam - obwohl ich weiß, dass Chan selbst diese Kooperation runterspielen möchte, ist es bei mir weniger die Neugier, sondern eher die Ambition, diesen journalistischen Brocken möglichst bald aus dem Weg zu heben.
"Das war keine arrangierte Sache, wir haben uns einfach bei Konzerten kennengelernt, ganz normal. Dave traf ich in New York, Eddie beim 'All Tomorrow's Parties' in L.A.. Ich fand es schon komisch, mit jemand anders zu singen, das ist ja schon eine sehr physische, irgendwie furchterregende Sache, aber in manchen Songs wollte ich eine spezifisch männliche Perspektive und mit Eddie ging das gemeinsame Singen irgendwie. Dave lud mich während der Aufnahmen zu seiner Platte zu sich ein und ich habe ihn einfach gefragt: 'Kannst du vier Minuten lang so machen und zweieinhalb Minuten so?'" (Chan zeigt zwei basic Drum-Rhythmen). "Das hat er dann gemacht, und das war's. Ich will auf keinen Fall mit dieser Superstar-Welt in Verbindung gebracht werden, ich möchte weiter ein normales Leben führen. Es wäre nett, wenn ich meiner Mutter irgendwann mal ein Haus und ein neues Auto kaufen könnte, aber mehr brauche ich nicht."
Auf meine Frage, wie sie sich diesem Ruhm, der ja bei einer so fantastischen Platte und Koops mit zwei Alt-Mainstream-Stars durchaus hinter der Ecke lauern könnte, entziehen möchte, lächelt sie fast hinterlistig und meint, sie habe da so ihre Strategien: "You know, play a shitty show, let everybody down...". Ich bin baff, und beeindruckt, weil das nicht nur beweist, dass sie ihre eigene Situation reflektiert, sondern auch, dass sie ihr eigenes Image kontrolliert und nicht dieses beschützenswerte, schöne Depri-Bündel ist, das man nach jeder Performance zärtlich vom Boden aufwischen muss. Yes she can take care of herself...
Auch bei den Aufnahmen zu "You Are Free", die in LA, Seattle, Atlanta, Virginia und sogar Capri (!) gemacht wurden, war es ihr wichtig, die Fäden selbst in der Hand zu halten. "Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich keinen Producer will, sondern nur einen Tontechniker. Denn ich will keinen Einfluss von außen; ich habe es schon so oft erlebt, dass ich gesagt habe: 'Kannst du diese Spur bei diesem Part bitte einen Tick lauter machen?' und mich der Typ im Studio ganz blöd angeglotzt und gesagt hat: 'Du weißt, was passiert, wenn ich das mache, oder?' und ich dann antworten musste 'Natürlich weiß ich das, and now fucking turn it up!'" Auch Cat Power-Fan Adam Kasper, der "One By One" der Foo Fighters und Pearl Jams Riot Act produziert hat und selbst angeboten hatte, für das neue Album (gratis) mit Chan ins Studio zu gehen, musste sie während der Aufnahmen des öfteren auf die Finger klopfen und ihn ausbremsen: "Nanana, stop, lass mal, ich weiß selbst genau, wie das klingen soll!" Die manchmal leidvollen Erfahrungen mit männlichen, besserwisserischen Kollegen im Musik-Biz thematisiert Cat Power in unserem Gespräch ganz selbstverständlich, sagt aber auch, dass sie in Songs wie "He War", "Good Woman" und "Evolution" das Miteinander von Männern und Frauen weiterbringen will: "Wir haben zum Glück schon so viele überflüssige Geschlechter-Klischees über Bord geworfen, dass wir uns jetzt der Zukunft zuwenden sollten. Jungs und Mädchen mögen sich ja eigentlich sehr und sind neugierig aufeinander, bloß haben sie oft Angst und wissen nicht, wie sie adäquat miteinander umgehen sollen. Ich finde es wichtig, dass wir uns gegenseitig supporten".
Am Ende muss ich doch noch wissen: Wieso klingt das neue Album, trotz gewohnt melancholischer Songs, über weite Strecken so positiv, so bejahend, nachdem sich früher immer tiefschwarze Schlünde aufgetan haben? "Hm, ich bin wohl einfach älter geworden. Ich habe festgestellt, dass viele Sachen, die ich in meiner Jugend durchgemacht habe, auch anderen passiert sind. So hat sich das alles relativiert." Ach ihr Gentleboys, wen wollt ihr denn jetzt retten? |
intro märz 03