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Über Agnès Jaouis Film "Comme une image", der von der Unmöglichkeit handelt, die dicke, unglamouröse Tochter eines Society-Löwen zu sein.
(2005.06.01, 14:15)

Lolita (Marilou Berry) ist nicht nur ein bisschen mopsig. Sie ist ein dicker, pampiger Trauerkloß, der sein gefühltes Unglück wie einen schweren Rucksack mit sich herumschleppt und allen vor die Füße schleudert. Am liebsten ihrem Vater (Jean-Pierre Bacri). Denn der ist nicht nur Schuld an ihrem brüllend unpassenden Namen, sondern als supercharismatischer, von der Society umschwärmter Schriftsteller die lebende Antithese zu ihr selbst. Mit seiner engelsgleichen blonden Trophy Wife Karine, die ungefähr in Lolitas Alter ist, hat er eine niedliche kleine Tochter, die von seiner jungen Frau von Anfang an auf Diät getrimmt wird. Karine fühlt sich in ihrer Rolle als schmückendes Element an der Seite des Pariser Literatur-Tycoons, deren Meinung niemand hören will, wie ein dekorativer Fußabstreifer und sucht die Sympathie von Lolita. Diese wiederum wertet die Avancen in ihrem Selbstmitleid als Herablassung und möchte lieber mithilfe ihrer Gesangsstunden dem Vater ihr Talent beweisen. Mindestens um ihrer Fähigkeiten willen möchte sie geliebt werden, wenn sie schon nicht, wie im Weltbild des Vaters gewünscht, als optischer Aufputz glänzen kann. Doch auch die strenge Gesangslehrerin (toll gespielt von einer verkniffen-witzigen Agnès Jaoui) hat egoistische Motive. Als sie erfährt, wer der Vater ihrer mäßig begabten Schülerin ist, sieht sie eine Chance für ihren erfolglosen, ständig herumjammernden Schriftsteller-Ehemann gekommen und stürzt sich mit zweifelhaftem Engagement in den Unterricht.

Das Faszinierende an den Filmen der Regisseurin, Drehbuchautorin, Schauspielerin und Produzentin Jaoui bzw. ein besonderes Charakteristikum des französischen Films, das speziell bei Rohmer oder auch Truffaut zu Tage tritt, ist das Wagnis, alle Hauptcharaktere als tendenziell unsympathisch und selbstsüchtig zu zeichnen. Hier gibt es kein Ringen um die widerstandslose Zuneigung des Publikums, keine Demarkationslinie zwischen lieb und böse, sondern nur eine Ansammlung von Idiosynkrasien, Ticks, Hang-Ups und verschrobenen Liebenswürdigkeiten. Diese verleiht einem Film nicht nur eine größere Greifbarkeit, Lebensnähe und Tiefe, sondern schlicht auch mehr Esprit und Witz.

Lolita kann als klassischer Opfer-Typ mitnichten alle Sympathien auf sich vereinigen, sondern ist in ihrem selbstgerechten, uferlosen Unglück so garstig, dass sie andere nach demselben Verhaltensraster behandelt, unter dem sie so leidet: Statt sich über die ernst gemeinten Avancen Sébastiens zu freuen, läuft sie lieber dem schöneren Jungen hinterher, der sie ganz offensichtlich nur als Zuweg zu ihrem Vater benützt. Aber auch der von Jean-Pierre Bacri glänzend verkörperte egomane Patriarch (gibt es eigentlich irgendeinen Ernst zu nehmenden aktuellen französischen Film, in dem der Lebenspartner von Jaoui nicht mitspielt?), dem eigentlich die Rolle des selbstherrlichen Tunichtguts zukäme und der mit seinen dauernden, „gentleman“’esken Verweisen der Frauen auf ihre Körperlichkeit offensichtlich zu einem Gutteil am Elend seiner Tochter verantwortlich ist, kann man nicht als Ungeheuer verteufeln. Zu sehr erliegt man als ZuschauerIn seinem erdrückenden Charme. Fantastisch, wie sich hier Eitelkeiten, Unsicherheiten und das Ringen um Anerkennung gegenseitig an die Wand drücken und dabei trotzdem in den Lücken noch so etwas wie Wärme entsteht. | intro mai 05
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