Too soon for sorry
Anlässlich der Präsentation ihres Dokumentarfilmes "Too soon for sorry" in Wien trafen Vina Yun, Michaela Hafner und Sonja Eismann am 13.05.01 die Regisseurin Katharina Weingartner zum Gespräch.
(2002.07.26, 20:09)
Der Dokumentarfilm "Too soon for sorry" (USA/D/A 2000), Katharina Weingartners Regie-Debüt, beschäftigt sich mit dem Leben der African-American und Latino/a Community in den USA zwischen Pop- und Konsumkultur, Begehren und Kriminalisierung. Anhand von Interviews mit InsassInnen von vier Gefängnissen, die mit Medienabbildungen zu Ethnic Lifestyles einerseits und Überwachungskameraaufnahmen reicher Wohnviertel andererseits kontrastiert werden, wird auf die Fetischisierung schwarzer Körper als Lifestyle-TrägerInnen (in Sport, Entertainment und Fashion) sowie deren gleichzeitige Dämonisierung durch die Konstruktion vom Image des Gangsters/Drug Dealers hingewiesen. Die im Rhythmus des HipHop-Soundtracks geschnittenen Szenen stellen unkommentierte, eindringliche Äußerungen der Inhaftierten einer Darstellung des am schnellsten wachsenden amerikanischen Wirtschaftszweiges, dem Überwachungssektor, gegenüber.
Sonja: Was war für dich der Auslöser, dich mit der amerikanischen Gefängnisproblematik in Filmform zu beschäftigen?
KW: Ich glaube, mit dem Thema Gefängnis kann man sich in Amerika fast nicht nicht auseinandersetzen, wenn man HipHop hört. Das ist einfach genauso wie Basketball, Sneakers und Musik ein integraler Bestandteil vom afro-amerikanischen Alltag. 1992 habe ich für die Music Box ein Porträt der Lifer´s Group gemacht, eine sehr, sehr gute HipHop-Gruppe, die in New Jersey lebenslänglich im Knast saßen. Als ich zum Interview dort hingefahren bin, hat es mich fast umgehauen: das Jahrundertwende-Gefängnis dort sieht aus wie der Petersdom - mit Riesenkuppeln, in denen 5.000 fast ausschließlich sehr junge, schwarze Insassen sitzen wie in Käfigen in einem dieser panoptischen Gebäude, die Foucault beschrieben hat. Wenn man sich mit schwarzer Kultur und den dazugehörigen Phantasien vom tollen Leben beschäftigt, die wir Weiße ja Schwarzen so gerne einschreiben, und dann sieht man plötzlich diese ganzen Männer, die wie Ratten eingesperrt und an am Gitter hängen und auf dich herabblicken, macht das schon einen irrsinnigen Eindruck. Da war denn der Punkt erreicht, an dem ich mir gedacht habe, ich als Journalistin, die sich schon seit Mitte der 80er mit HipHop beschäftigt, muss da jetzt unbedingt was machen.
Für das Schweizer Radio habe ich vor einiger Zeit ein Feature mit dem Titel ?Prison Blues" gemacht, weil ich in der New York Times von einer Jeans-Fabrik in einem Gefängnis in Oregon gelesen hatte, wo Häftlinge eine sehr schicke, als ?Gangster-Wear? vermarktete Jeans-Linie produzieren. Die Werbeagentur (die ursprünglich auch Nike vertreten hat) hatte eine extrem zynische Werbekampagne entworfen, die in dem Spruch ?made on the inside to be worn on the outside" gipfelte.
Die Vermarktung dieser Gefängnis-Arbeit hat mich so geflasht, dass ich eine Woche später dort vor der Tür stand. Das hat mich irgendwie infiziert. Das Radiofeature hat dann sehr viel Echo bekommen und dann habe ich eben ?Too soon for sorry" für ARTE gemacht, obwohl es eigentlich ein Filmprojekt gewesen wäre, aber in Österreich hat das offensichtlich niemand für förderungswürdig befunden...
Sonja: Musik und eine gewisse Video-Clip-Ästhetik sind sehr präsent ist im Film. War es dir ein konkretes Anliegen, dadurch das Gefüge eines rein moralischen, aufrüttelnden Gefängnisfilms zu durchbrechen?
KW: Alle Gefängnisdokus oder Dokumentarfilme über soziales Elend, die ich kenne, handeln von Opfern und Fürsprechern, wobei die Fürsprecher fast immer weiße Männer und die Opfer Ethnic Minorities oder Frauen sind. Das wollte ich auf jeden Fall verhindern. Für mich war das Wichtigste, diese Gefangenen für sich selbst sprechen und erklären zu lassen. Die von mir im Film clipartig eingefügten Medienebenen wie Nachrichtenbilder oder -sprecherInnen sollten gar nicht unbedingt so informativ sein, damit wollte ich nur imitieren, was auf uns medial alles einwirkt. Fast wollte ich auch, dass man die Vorgänge nicht wirklich versteht, denn es geht mir nicht darum, irgendeine Form der Objektivität zu erreichen, sondern ich möchte eher vermitteln, dass es DIE Wahrheit nicht gibt, sondern dass jede/r selbst suchen muss. In dokumentarischen Arbeiten ist der einzige Weg dafür meiner Ansicht nach, den Menschen eine Stimme zu geben.
Sonja: Du verzichtest im Film auf kommentierende Stimmen, wodurch sehr private, anrührende Szenen entstehen, wie die im New Yorker Frauengefängnis, wo die Insassinnen aus dem Fenster sehen. Durch ihre Kommentare zum Treiben auf der Straße wird besonders schmerzlich diese Dichotomie drinnen/draußen deutlich.
KW: Diese Szenen wirken im Nachhinein alle so einfach, aber das war eigentlich in harter Arbeit total ausgeklügelt und geplant. Was mich so fasziniert hat an diesem Gefängnis, Bayview heißt es, ist, dass es mitten im Art District von Chelsea liegt. Da das früher industrielle Chelsea jetzt die Rolle von Soho übernommen hat, hat sich genau gegenüber vom Gefängnis, dem letzten Überbleibsel aus der alten Zeit, das größte Galeriengebäude von Manhattan angesiedelt. Die Häftlinge schauen rüber auf die Kunst, und die Kunst schaut herüber auf das Gefängnis... das hat auch meinen Film sehr geprägt. Ich habe selbst erst bei einer Vernissage in einer der zahllosen Galerien festgestellt, dass gegenüber ein Gefängnis ist, weil ich dort die Frauen hinter ihren Gittern gesehen habe. Daraufhin habe ich mit den Häftlingen gesprochen und alle Galerien abgeklappert, aber bis auf einen Künstler hatte sich noch nie jemand mit dieser eigenartigen Nachbarschaft auseinandergesetzt!
Mir ging es in meinem Film sehr stark um dieses draußen/drinnen. Diese Cubus-artigen Ausstellungsräume unterscheiden sich eigentlich nicht sehr von den Zellen auf der anderen Seite. Von der Gefängnisseite her betrachtet, sieht man dort eine Menge irgendwie uniformierter Leute in einem ganz einheitlichen Look, 95-98% von ihnen weiß, darunter sehr, sehr viele junge Frauen. Wenn du das mal von der anderen Seite siehst und hörst, wie die Frauen gegenüber darüber reden, beginnst du auch in Frage zu stellen, auf welcher Seite die Angst oder der Druck größer ist. Diese Gedankengänge sind natürlich problematisch, aber das sind die Dinge, die mich dabei am meisten interessiert haben.
Sonja: Wieviel verdienen die Gefängnisinsassinnen für ihre Telefonistinnen-Jobs eigentlich?
KW: Sie kriegen 36 Cents in der Stunde, müssen davon aber noch Abgaben zahlen für Unterkunft und Verpflegung. Das Absurde ist aber, dass die Frauen ihren Job lieben und sich dadurch als qualifiziert begreifen (für diese Gefängnisjobs gibt es endlose Wartelisten), denn Tele-Marketing und Telefonjobs sind die einzigen Jobs, die für schwarze Frauen in Amerika überhaupt übrig sind.
Was sich da in dieser Straße jetzt in Form von Galerie und Gefängnis gegenübersteht, ist ein ganz klares Resultat einer neuen konservativen Politik in Amerika. Das ist Gentrification, Giulianis Aufräumaktionen von New York City, die Entfernung von Minderheiten aus dem Zentrum, und die Installierung einer neuen urbanen Qualität, die sich ganz stark um Kunst und Shopping organisiert. Und die Leute, die diesen Unterhaltungskonglomeraten, diesen Lifestyle organisieren, indem sie ihnen die Drogen verkaufen, die sitzen gegenüber.
Fast alle Frauen in diesem Gefängnis sind Drogendealerinnen. Ganz viele von ihnen haben mir erzählt, dass ihre Hauptklientel Weiße waren. Wenn man bedenkt, was in diese Galerien-Gebäude im Jahr auf Parties an Koks umgesetzt wird und welche drakonischen Strafen dem gegenüberstehen... das ist vollkommen absurd. Immer, wenn ich durch diese Straße gehen, stelle ich mich hin und schaue nach links und nach rechts.
Vina: Auch in Österreich ist ja Broken Window, Zero Tolerance etc. sehr wohl (von der FPÖ) aufgegriffen worden. Kann man tatsächlich sagen, dass hier bestimmte Themen gezielt importiert werden?
KW: Ja, ich weiß sogar, dass es so ist. Loïc Wacquant, ein Soziologe aus Berkeley, hat diesen Weg in seinem Buch genau nachvollzogen. Es gibt in NY einen republikanischen Think Tank, das Manhattan Institute, in dem abgehalfterte Soziologen, Historiker und Kriminologen diese ganzen später berühmt gewordenen Theorien entwickelt haben. Es war auch Lawrence Reed involviert, und Charles Murray, der dieses berühmte ?The Bell Curve?-Buch geschrieben hat, das behauptet, dass Schwarze genetisch mit einem niederen IQ und größeren Geschlechtsorganen ausgestattet sind, und dass daher ein Großteil des Großstadt-Elends entstanden ist. Er und William Bratton, der erste Polizeichef unter Giuliani, waren die maßgeblichen Denker in diesem Think Tank, und haben dort diese Konzepte entwickelt. Giuliani war dort immer Stammhörer, und auch Haider ist dort gerne hingegangen.
Dort wurden mit einem von den Republikanern, rechtsgerichteten Firmen und Privatgefängnis-Konzernen bereitgestellten Wahsinns-Budget Kongresse veranstaltet und irrsinnig viele Journalisten eingeladen. Als ich das erste Mal die diffamierenden Wahlplakate der FPÖ gesehen habe, sind mir die Parallelen ganz deutlich klar geworden, da ich das alles schon aus New York kannte. Das ?Schwarzafrikaner?-Phänomen hat mich stark daran erinnert, wie dieser War on Drugs in Amerika seit den 70er Jahren dazu benützt wird, um gewisse Bevölkerungsgruppen in Schach zu halten. Ich glaub, dass das ganz bewusste, ganz klar politische Strategien sind.
Es gibt ein vor 2 Jahren erschienenes Buch mit den Briefen von Richard Nixon, wo er seinem Wahlkampfleiter 1968 schreibt, ?I think we have the solution for the Negro problem: drugs?. Es ist also wirklich gezielt so vorangetrieben worden. 75% aller Häftlinge in Amerika sind wegen Drogenvergehen inhaftiert. Das Strafmaß ist einfach unfassbar.
Eigentlich waren schwarze Männer immer die Hauptzielscheibe dieser Kriminalisierungsstrategie, doch weil so viele dieser Männer jetzt hinter Gittern sind, z. B. in East New York oder South Central (in Distrikten, in denen es über 50% Arbeitslosigkeit gibt, sind 8 von 10 jungen schwarzen und Männern zwischen 16 und 25 inhaftiert), müssen Frauen diese Rollen übernehmen, um ihre Familien zu ernähren. Das hat natürlich fatale Konsequenzen, denn wenn man bedenkt, dass es in den USA quasi ein schwarzes Matriarchat gibt (die meist absenten Männer werden nur ?baby fathers? genannt), dass aber ein unter Clinton verabschiedetes Gesetz besagt, dass wegen Drogendelikten Verurteilte nie wieder Sozialhilfe empfangen dürfen, können diese Mütter, die aufgrund ihres sozialen Stigmas und mangelnder Ausbildung auch so gut wie keinen ?normalen? Job annehmen können, ihre Familien nicht mehr erhalten. Die Rückkehr in den Drogenhandel ist also vorprogrammiert. | nylon nov 01